Bewertung: 4.5 / 5
Die Brüder Justin und Aaron schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben, als sie eines Tages eine Videokassette zugeschickt bekommen. Das Video enthält eine Nachricht einer Gruppe, die im sogenannten „Camp Arcadia“ ein zurückgezogenes Dasein führt, in dem die beiden als Jugendliche aufgewachsen sind. Justin misstraut der Nachricht und erinnert Aaron, dessen Erinnerungen etwas angenehmer sind, daran, dass es sich bei der Gruppe um eine Art UFO-Todeskult handelte. Während er beansprucht, Aaron aus deren Fängen gerettet zu haben, möchte dieser einen Besuch riskieren und weist darauf hin, dass die Mitglieder augenscheinlich noch lebendig sind. Da das post-Kult Leben den beiden bislang wenig geboten hat willigt Justin letztendlich ein, und die beiden machen sich auf den Weg zu ihren alten Sektenkameraden. Dort angekommen sind nicht nur einige Mitglieder sofort suspekt, auch die Freundlichkeit und die Tatsache, dass die Zeit scheinbar spurlos an den Kultisten vorbeigegangen ist, lassen die beiden einiges hinterfragen. Und es bleibt nicht bei diesen ersten Merkwürdigkeiten.
Wer sich am Ende von The Endless am Kopf kratzt und sich fragt, worum es denn jetzt eigentlich geht, sollte nicht entmutigt sein, denn das war das Konzept des Filmes. Er spielt mit unserer Wahrnehmung von Raum, Zeit und Realität mit genau dem Ziel, die Angst vor dem Unbekannten bestmöglich zu nutzen.
“The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear is fear of the unknown”, mit diesem Zitat von H.P. Lovecraft startet der Film. Das ist sein Programm, das zieht er durch. Es gibt in meinen Augen zwei wirklich effektive Konzepte für Horror: einmal eine klar definierte Gefahr, sodass der Zuschauer die Regeln und Logik versteht und die Gefahr riechen kann bevor es die Protagonisten können (Hitchcocks berühmte „Bombe unter dem Tisch“). Oder halt das Konzept von Lovecraft, das mulmige Gefühl, das dort etwas ist, dem man ausgeliefert ist, was man sich nicht erklären kann und nicht von dieser Welt zu sein scheint. Cosmic Horror. Und das ist die Sorte Horror, die den Film effektiver macht als jedes übertriebene Blutvergießen.
Trailer zu The Endless
Den Film gut zu besprechen und dabei vage bei der Handlung zu bleiben ist nicht ganz einfach. Sagen wir einmal, unsere Protagonisten treffen im weiteren Verlauf diverse Charaktere, die alle, ähnlich wie sie selber, auf der Suche nach etwas sind. Aus den Handlungen, Entscheidungen und Erlebnissen der Brüder entfalten sich dann auch, wie es in einem guten Drehbuch sein sollte, die Themen des Filmes. Da ist natürlich die Angst vor dem Unbekannten, aber auch die Suche nach Antworten, nach einer höheren Macht (schön konnotiert in einem Twist, der die Brüder aneinandergeraten lässt, und die Charakterbögen weiter öffnet). Gibt es diese Macht, und sollte Sie uns lenken? Ist es Notwendig, zu einem Punkt in seiner Vergangenheit zurückzugehen, um Erkenntnis zu bekommen oder Probleme zu lösen, oder bleiben wir so nur in der Vergangenheit hängen? Vergebung spielt auch eine große Rolle, und wird im Film durchaus komplex aufgezogen, da es bei einem Twist die Parteien in offenen Konflikt bringt.
Das sind die Themen, die der Film entweder solide abarbeitet, oder sich zumindest damit beschäftigt ohne belehrend zu werden. Und hier passiert etwas sehr Schönes: der Film macht eine Ästhetik daraus, uns immer wieder, auch bei Schnitten, Spiegel und Kreise zu präsentieren, um die Themen Wahrnehmung und Wiederholung einzuprägen. Verschiedene Charaktere schauen immer wieder genauso lange in Richtung Kamera, dass man einen fourth wall break fast schon erwartet. Der Film läd die Zuschauer ein, sich auf diese Themen und Gedanken einzulassen, was in einem kleinen Indie-Film schon fast großes Kino ist (oder ganz). Dies wird nochmals durch eine Szene zwischen Aaron und Anna, von der das Video zu stammen scheint, angedeutet. Der formale Kultführer Hal erklärt Justin, er habe eine Formel entwickelt, um all die seltsamen Ereignisse zu erklären. Später wird er zugeben, dass diese Formel die Ereignisse nur für ihn erklärt, nur sein eigener Ansatz ist und keine Richtigkeit haben muss. Ein anderes Kultmitglied gibt Aaron den Rat: „Do it only, if you really want it!“ …ohne genau zu definieren was er meint. In einem Film, der sich mit freiem Willen und Wahrnehmung beschäftigt und der uns zu ermutigen scheint, die eigenen Schlüsse zu ziehen, auch wenn man nicht alles erklären kann, war es wichtig, dass uns diese kleinen Szenen gegeben wurden.
Die Dinge werden schnell immer bizarrer und nicht mehr wissenschaftlich erklärbar. Dies ist bewusst gewählt, die Regisseure Benson und Moorehead (die übrigens die Hauptfiguren mir ihren echten Vornamen spielen) verwischen die Grenzen zwischen Fantasie und Realität, was die reale Situation in einem isolierten Kult, der seine Mitglieder einer Gehirnwäsche unterzieht, wiederspiegeln soll. Intelligenterweise werfen sie noch eine Droge in den Mix, sodass die seltsamen Erlebnisse durchaus einen erklärbaren Ursprung haben. Aber der Film ist vor allem erfolgreich darin, eine Atmosphäre der permanenten Bedrohung zu schaffen, welche technisch durch cleveres Sounddesign unterstrichen wird.
Als ebenfalls clever stellt sich der Einsatz einer handgehaltenen Kamera heraus, die dem Film einen gewissen Dokumentationsstil verleiht. Die Kameraführung ist sehr strategisch eingesetzt, und gibt Informationen kalkuliert heraus (oder auch nicht). Die Farben sind leicht entsättigt, und geben der kargen Umgebung des Camps etwas von der „Blasted Heath“, die H.P. Lovecraft in seiner Kurzgeschichte „The Colours Out of Space“ beschrieb, und auf welche der Film hiermit und mit dem Ende anspielt. Die Schauspieler sind alle exzellent, wobei ich die beiden Protagonisten/Regisseure hervorheben sollte. Der Schnitt ist strukturell und thematisch gut gewählt (auf den Kuleshov Effekt achten), und die wenigen „Jumpscares“ sind mit solch präzisen Timing ausgeführt, und vor allem verdient, dass sie auch Veteranen erwischen sollten (der Film klopft sich hier sogar einmal selber auf die Schulter, indem er aus dem, was vorher ein Schocker war, in einer späteren Szene einen Witz macht).
Hätte ich einen Kritikpunkt, dann wäre das der Mittelteil, der vielleicht einen Tick zu ziellos wirkt, und vielleicht, dass Benson und Moorehead ihren Film ein wenig zu „Kritikresistent“ gemacht haben. Was ich meine ist, dass man im Mittelteil bestimmt kleinere Pacing/Strukturschwächen finden kann, diese Kritik aber dadurch abgeblockt werden kann, dass dieses „Verwischen“ ja Programm ist.
The Endless ist ein ambitionierter, smarter aber auch fordernder Horrorfilm, der lange im Kopf bleibt und beweist, dass Ambiente und Themen immer über Effekte triumphieren. Wiederholtes Sehen wird mit Sicherheit belohnt werden.