Anfang April 1917, mitten im ersten Weltkrieg, bekommen die Obergefreiten (Lance Corporal) Blake und Schofield plötzlich den Befehl zum Antreten. Die deutschen Truppen sind scheinbar auf dem Rückzug, und ein gewisser Oberst Mackenzie steht davor, am nächsten Morgen weiter anzugreifen, um die veränderte Lage auszunutzen. Was er nicht weiß, und was Luftaufnahmen gerade erst offenbart haben, ist dass er mit seinen Truppen vor einer von langer Hand geplanten Verteidigungslinie steht, die den Angriff über offenes Feld zu einem Himmelfahrtskommando macht (Geschichts-Nerds werden diese Linie wahrscheinlich als die "Hindenburg Linie" identifiziert haben, ein tiefschichtiges Verteidigungsnetz welches den Zweck hatte, die Westfront mit möglichst wenigen Truppen zu halten und durch eine sogenannte "Frontbegradigung" Truppen für die anderen Schauplätze in Europa frei zu machen). Die direkte Kommunikation zu den 1600 Mann ist abgerissen, weshalb der Befehl, den Angriff abzubrechen, direkt und persönlich überbracht werden muss, noch dazu durch ein Gebiet, dass kurz zuvor noch von deutschen Truppen gehalten wurde. Blake wurde dabei mit einem Hintergedanken gewählt: er hat einen Bruder in der Vorhut, der bei Versagen der Mission am nächsten Morgen mit seiner Einheit verheizt wird. Dass Blake die notwendige Motivation mitbringt ist also garantiert, aber sein Partner, den er auch noch selber für dieses Schicksal ausgewählt hat (ohne die Details zu wissen, wohlgemerkt), sieht die Mission etwas kritischer.
Was auch immer man von Sam Mendess Spectre halten mag, die meisten werden wohl zustimmen, dass der lange Tracking Shot in Mexico City am Anfang zu den Höhepunkten des Filmes gehört. Mendes hat diese Technik für 1917 wortwörtlich ausgereizt, und den Film so konstruiert, dass er, mit einer wichtigen Ausnahme, wie eine einzige ungeschnittene Szene funktioniert. Die Kamera klebt quasi an den Protagonisten, wir erleben sozusagen live was diese gerade durchmachen. Die Form hat dem Film mehrere Ego-Shooter und Computerspiel-Vergleiche eingebracht, und ich denke, der Film setzt dies bewusst und intelligent ein. Wer einmal Call of duty oder Konsorten gespielt hat (oder Half-Life für mein Semester) weiß wahrscheinlich, dass diese Spiele eine Scheinfreiheit haben, in der die Welt zwar groß erscheint, man sich letztendlich aber einen Korridor hinunter kämpfen muss. Mit diesem Stil erreicht 1917 etwas interessantes, man kann als Zuschauer genauso wenig entkommen wie die beiden Soldaten. Wenn die beiden in einen Granatentrichter rutschen, in die schleimige, verrottende Grütze, die vor ein paar Wochen vielleicht noch Kameraden waren, dann gibt es keinen rettenden Schnitt zu einer Szene ein paar Sekunden später. Kein erleichternder Schnitt zum Tageslicht, wenn das Bunkersystem kollabiert und die beiden lebendig zu begraben droht. Der Film erreicht etwas beim Zuschauer, dass man eigentlich nur durch das inzwischen in die Filmsprache eingewanderte Wort immersive (recht unklar übersetzbar mit "eindringend") beschreiben kann: wir sind im Geschehen drin, ob wir wollen oder nicht. Leider wurden meine Hoffnungen, der Film würde dadurch auch etwas zum Verlust der Entscheidungsfreiheit der Soldaten sagen, enttäuscht, zumindest am Anfang wird sogar noch fleißig diskutiert, ob man den Befehl überhaupt direkt ausführen soll, und dies geht weiter bis man schließlich den Punkt ohne Wiederkehr überschritten hat.
Trailer zu 1917
An diesem Punkt steht der Film dann auch kurz davor, ein Problem zu bekommen, denn einer der Soldaten könnte an dieser Stelle zu einem sehr konventionellen Held werden. Angesichts der Mission kommen einem auch Gedanken an einen umgedrehten Saving Private Ryan, da hier zwei Soldaten ihr Leben für viele riskieren, womit die moralische Frage aber auch direkt simpler und uninteressanter wird (besonders da es bei Blake um seinen Bruder geht). Dem Dilemma entkommt der Film zumindest teilweise, indem er einen doch unkonventionellen "Helden" zeichnet, der trotz des Wahnsinns um ihn herum, und trotz einer Schlüsselszene, seine Menschlichkeit nicht zu verlieren scheint, und der nicht für den Sieg kämpft, sondern einfach für das Überleben seiner Kameraden (wäre ich zynisch könnte ich behaupten, dass er dadurch in einem Abnutzungskampf wie der Westfront schon für den Sieg kämpft, aber das ist nicht die Intention des Filmes). Dies wird vom Film klar kontrastiert durch Oberst Mackenzie (Benedict Cumberbatch als einer von vielen bekannten Gesichtern in einer kleineren Rolle) auf der eigenen Seite, der am ehesten in die Nähe kommt, so etwas wie ein Bösewicht zu sein. Generell transportiert der Film in mehreren Szenen als Thema nicht den Sieg über den Gegner, sondern einfach den Willen dieser Menschen, heil nach Hause zu kommen. Das gibt ihm einen angenehm milden Unterton, ohne dass er etwas revolutionär neues über den Krieg sagen würde.
Technisch und von der Inszenierung her kann man dem Film wenig vorwerfen, die Gräben, das Niemandsland, Bunker und eine zerstörte Stadt sehen gruselig authentisch aus. Dabei setzt der Film immer wieder interessante Kontraste, lässt zum Beispiel Kirschblüten auf Schofield fallen, was nach einem vorherigen (und etwas banalen) Gespräch über Kirschbäume wie ein Rückruf an die Heimat wirkt, nur um in direkt danach in den Alptraum der Realität zurück zu holen. Dadurch wird der Effekt der "Verbrannten Erde" Strategie schmerzhaft spürbar: Hier wohnten einmal Menschen, das war eine Heimat. Leider hat der Film hier scheinbar auch das Bedürfnis, dies dann doch ausbuchstabieren zu müssen, so etwa in einer Szene in einem Keller, in der die einzige Frau im Film ihren Auftritt hat, leider ohne einen großen Effekt zu haben.
Was am Ende bleibt, ist ein visuell und von der Gesamtstimmung her (die Musik erreicht teilweise einen pulstreibenden Grad, der an Nolans Dunkirk erinnert) hochkarätig inszenierter Film mit einigen kleinen Schwächen und einem starken Alleinstellungsmerkmal, der dann aber doch eine Frage übrig lässt: was hat er denn neues zum Thema Krieg zu sagen? Und an dieser Stelle steht leider "nicht viel", sodass man zwar gleichzeitig beeindruckt zurück bleibt, aber auch mit einem leicht banalen Nachgeschmack.