Bewertung: 4.5 / 5
Lawrence von Arabien ist ein Filmdrama, angelehnt an der wahren Geschichte von T.E. Lawrence. Inszeniert wurde das Werk aus dem Jahr 1962 von dem britischen Regisseur David Lean.
Lawrence von Arabien ist im Ersten Weltkrieg angesiedelt, genauer gesagt beschäftigt sich das Werk mit der Arabischen Revolte gegen das Osmanische Reich. Der Film stellt keine komplette Autobiografie dar und konzentriert sich im Wesentlichen auf Lawrence‘ Tätigkeiten in Arabien. Untypischerweise startet man jedoch 1935 und zeigt in den ersten Filmminuten den Tod der Hauptfigur und die Beisetzungszeremonie.
Erst anschließend springt der Film zurück und zeigt den britischen Offizier Thomas Edward Lawrence in Kairo. Als Querdenker und Idealist verkörpert Lawrence keine Eigenschaften eines klassischen Soldaten. Er bekommt die Mission ins tiefe Arabien zu reisen und den Führer Faisal I. zu beobachten.
Anschließend beginnt im wahrsten Sinne des Wortes eine sehr lange Reise, welche die Entwicklung des T.E. Lawrence maßgeblich beeinflussen wird.
Das Werk von Lean aus den frühen 60er Jahren ist handwerklich und technisch ein brillanter Film. Oft wird mit Lawrence von Arabien die 70 mm Kameraaufnahme in Verbindung gebracht. Das Filmteam leistete damals schwerste Arbeit, die außerordentlich großen und schweren Kameras in die Wüste zu transportieren und mit ihnen zu drehen. Das Ergebnis sind jedoch perfekte Aufnahmen welche die Unendlichkeit der Wüste eindrucksvoll in 70 mm Breite einfangen konnten. Christopher Nolan erzählte immer wieder, dass seine Leidenschaft für IMAX/70mm durch Lawrence von Arabien aufgebaut wurde.
Aber Lawrence von Arabien auf die Kamera zu reduzieren wird diesem Werk nicht gerecht. Die wundervollen Bilder wurden bemerkenswert eingefangen und mit dem richtigen Spiel mit der Sonne und einem perfekten Schnitt kombiniert. Zeitgleich wird der visuelle Genuss mit einer Komposition von Maurice Jarre begleitet und mehrfach unterstrichen.
Diese technische, optische und audiovisuelle Perfektion wurde 1963 u.a. mit den Oscars für die beste Kamera, den besten Schnitt, den besten Ton, das beste Szenenbild sowie der besten Musik gewürdigt.
Lawrence von Arabien ist jedoch so viel mehr, denn dem Film gelingt etwas, was viele andere nicht hinbekommen und zwar eine authentische und schockierende Entwicklung eines Charakters zu erzählen. Die Hauptfigur wird dabei vom damals unbekannten Peter O’Tool dargestellt. O’Tool strahlt von Beginn an diese herrliche Unbekümmertheit und den Idealismus aus. Während seine Kameraden in der Wüste sind und am liebsten zuhause wären, fühlt sich Lawrence in seiner Umgebung wohl, er will sich anpassen, er redet mit den Beduinen, er ist aufgeschlossen.
Die Besetzung des Films beinhaltet sehr viele Darsteller, neben Peter O’Tool sind Alec Guinness und Omar Sharif die Bekanntesten. Guinness spielt Prinz Faisal während Sharif einen Beduinen- Sherif verkörpert.
Interessanterweise findet man in diesem wirklich riesigen Film mit sehr langer Laufzeit und sehr vielen Darstellern keine einzige Frau. Das mag nicht groß verwunderlich sein, weil in den Kriegsszenarien in den 1910er Jahren und dann vor allem im arabischen Raum wenig Platz für Frauen war. Trotzdem hätte man sich hollywoodmäßig eine aufgesetzte Liebesgeschichte vorstellen können. Aber dafür haben David Lean und seine Drehbuchautoren Robert Bolt und Michael Wilson keinen Platz gehabt. Man hat sich auf eine authentische Geschichte fokussiert und behält jeder Zeit den roten Faden im Blick.
Angesprochen wurde eine sehr lange Laufzeit, diese hat es wirklich in sich, denn mit knapp vier Stunden hat Lawrence von Arabien reichlich Filmrollenkapazität benötigt.
Diese extreme Laufzeit ist Segen und Fluch zu gleich. Die angesprochene Entwicklung von T.E. Lawrence ist nur durch diese lange Laufzeit möglich. Man schaut sich anfänglich den Film an und denkt es passiert nicht sonderlich viel, aber nach ca. einem Viertel setzt ein Prozess ein, indem der Zuschauer plötzlich realisiert was er alles gesehen hat, ohne es bewusst wahr zunehmen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, dann sitzt man fest im Sessel und möchte nicht mehr Blinzeln. Das ist große Filmkunst.
Der Nachteil dieser großen Laufzeit wird für viele jedoch sein, dass es schwer fallen kann, Zugang zu diesem Werk zu gelangen. Lawrence von Arabien ist kein Streifen den man sich mal so anschaut, nichts was man über Netflix startet, am besten noch unterwegs auf dem Smartphone. Man muss sich bewusst für diesen Film entscheiden, hinsetzen und ihn auf sich wirken lassen. Etwas, was in den 2010er Jahren schwer geworden ist. Für Filme wie diesen wurden die Kinos erfunden.
Im Stile eines alten Monumentalfilms beinhaltet Lawrence von Arabien zu Beginn eine Ouvertüre und im Mittelteil eine Intermission, welche nur aus schwarzem Bild und einigen Minuten Musik bestehen. Sowas ist heute sicherlich nicht notwendig, aber gerade die Intermission erfüllt schon noch seinen Zweck, weil sie Möglichkeit bietet, die ersten zwei Stunden wirken zu lassen.
Die erste Hälfte des Films ist der stärkere Teil. Hier wird die Endlosigkeit der Wüste perfekt eingefangen und wenn man schon denkt, man wäre in der Wüste verloren, landet man doch wieder in der Zivilisation und die Reise des ganzen Unterfangen wird bewusster. In der zweiten Hälfte hat man den Eindruck es wird surrealer. Der Idealist hatte seine Prinzipien, diese rücken aber zunehmend in den Hintergrund und Lawrence ist der Meinung, dass er seine eigenen Grenzen für das große Ganze verschieben muss. Man erlebt einen neuen T.E. Lawrence. Durch diese Entwicklung kann man sich an Im Westen nichts Neues erinnert fühlen und Lawrence von Arabien hängt sich die Eigenschaft Antikriegsfilm an.
Neben den fünf Oscars für die technische und audiovisuelle Präsentation wurde die Erzählung mit den Oscars für die beste Regie und den besten Film prämiert. Zudem standen Nominierungen für das Drehbuch, O’Tool und Sharif zur Auswahl.
Die extrem lange Laufzeit kann für viele Menschen ein Hindernis sein, diesen Film an sich heran zulassen. Gekoppelt wird das durch die Tatsache, dass der Film inzwischen über 50 Jahre alt ist und natürlich die eine oder andere Inszenierung etwas holprig daher kommt. Leider zeigt sich diese Holprigkeit besonders stark in der Anfangsszene. Denn diese ist wirklich nur mäßig dargestellt worden – auch für die 1960er Jahre.
Wer Liebe zum Film hat, der sollte sich Lawrence von Arabien anschauen. Der Film ist sowohl technisch wie auch erzählerisch ein Meisterwerk. Das Alter und die Laufzeit erschweren den Zugang zu diesem Werk leider stark, aber wenn man sich thematisch für die Geschichte interessiert dann lohnt es sich.