Bewertung: 3.5 / 5
Stitch (Chris Sanders) ist das Ergebnis eines unethischen Experiments. Er ist unkontrollierbar und soll aus diesem Grund für immer weggesperrt wird. Jedoch gelingt es Stitch zu fliehen und er landet auf der Erde auf Hawaii. Dort lernt er die kleine Lilo (Daveigh Chase) kennen, die ebenfalls eine Außenseiterin ist.
Eine originelle Geschichte zu kreieren, ist etwas, an dem Autorinnen und Autoren in Hollywood scheitern müssen. Alles, alles, was man sieht, ist letzten Endes eine Weiterentwicklung oder Abwandlung altbekannter Geschichten, wenn es nicht sogar direkt eine altbekannte Geschichte ist. In Lilo & Stitch, der in der Vita der 2000er qualitativ herausstechen kann, geht es letzten Endes um eine weitere Alien-Mensch-Beziehungsgeschichte. Wem jetzt sofort Erinnerungen an E.T. – Der Außerirdische (1982), der hat tatsächlich auch gleich den Kern getroffen. Abseits dessen handelt es sich bei diesem Werk aber auch nicht um einen weiteren Stinker, wie etwa Dinosaurier (2000), Himmel und Huhn (2005) oder Küss den Frosch (2009), daß muss man ihm zumindest zu Beginn zugutehalten. Doch wie sich die Geschichte entspinnt und vonstattengeht, daß ist letzten Endes erwartbar. Irgendwie kommt ein gefährliches Alien auf die Erde, dann freunden sich die zwei an, dann kommt der Feind, es steht einiges auf dem Spiel und letzten Endes endet die Geschichte, mit einem Happy End, oder einem bitteren Happy End. All das kann man schon wissen, bevor man das Werk gesehen hat und natürlich könnte man sich jetzt die Frage stellen, ob das wirklich wichtig ist, oder ob es nicht um was anderes geht. Ja, zwischen den Zeilen steckt etwas anderes und auch tonal verspricht das Werk einiges und dennoch hat man den Eindruck, als reiße einen gerade die Geschichte ab und zu mal heraus und man würde sich langweilen.
Davon abgesehen ist der Film durchaus interessant. Beginnen tut das schon mit dem Ton. Normale Disney-Filme verbreiten Familienkitsch-Pathos-Propaganda-Quatsch, nach welchem die Familie in bester Vin Diesel-Manier alles ist. Lilo & Stitch hingegen erinnert dabei tonal eher an die frühen DreamWorks Animation-Filme, wie etwa Shrek – Der tollkühne Held (2001), Madagascar (2005) oder auch Kung Fu Panda (2008). Alles ist so ein wenig ironisch aufgeladen. Alles ist schwarzhumorig und tatsächlich auch etwas über die Schmerzgrenze des erträglichen. Das lässt sich sogar direkt an der Hauptfigur Lilo unter Beweis stellen. Das Mädchen, daß hier tatsächlich reale Probleme hat, ist nämlich kein übliches Mauerblümchen, daß sich zurückhaltend schüchtern ihre Gefühle aus dem Leib singt. Im Gegenteil, sobald ihr jemand grob kommt, haut sie drauf. Auch das, sehr ungewöhnlich für einen Disney-Film und abseits dessen, wird Lilo vielleicht zu einer der nahbarsten Figuren der gesamten Disney-Vita, wenn nicht gar zu einer der besten Kinder-Figuren der Filmgeschichte. Ja, mit Superlativen muss man aufpassen, die streut ja jeder selbsternannte Kritiker mindestens einmal im halben Jahr. Doch bei Lilo ist es eben so erstaunlich, daß der Film nicht einfach ihre Probleme nimmt und sie sich erklären lässt, sondern viel eher einen Katalysator dafür sucht. Lilo weiß was in ihr vorgeht, doch wie sehr viele Kinder und wie noch viel mehr Menschen ist sie eben nicht in der Lage dies direkt auszudrücken, weil sie ja ohnehin keine Kontrolle über die Situation hat.
Doch nicht nur Lilo ist mit sehr realen Problemen konfrontiert. Auch ihre Schwester Nani ist durchaus spannend. Zum einen arbeitet sie natürlich, um den nötigen Unterhalt zu verdienen und Lilo ein schönes Leben zu ermöglichen. Dafür hangelt sie sich von Job zu Job, doch kann diese bedingt durch unglückliche Ereignisse einfach nicht halten. So weit, so gut, eben die Schattenseiten des Kapitalismus. Die Frage, derer sich hier gestellt wird, ist auch eine, die für Disney-Filme ebenfalls unüblich ist. Bin ich als Individuum überhaupt in der Lage, für ein Kind zu sorgen. Gerade daß das Jugendamt hier auftritt, zeigt ja deutlich, in was für prekäre Verhältnisse die beiden Schwestern hineingeworfen werden. Zwar tut sich gerade an der Figur des Cobra Bobo die ein oder andere Ungereimtheit auf, doch das tut ja weiter nichts zur Sache. Im Prinzip serviert Disney in Lilo & Stitch die abgewandelte, teils harmlose Variante eines klassischen sozialen Brennpunktes. Allein dafür müsste man schon applaudieren. Natürlich ist das nicht drastisch genug, weil man sowas eben in dem Haus der Maus nicht unter bekommt. Doch der Wille ist da und insofern haben sie alles richtig gemacht.
Spannend ist zudem, daß sich der doch teils brachiale Humor sehr gut mit dem Zeichenstil zusammenfügt. Zwar erreicht das nicht die Karikaturen eines Hercules (1997), doch im weitesten Sinne erreicht man hier schon das ein oder andere skurrile Bild, daß bedingt durch die schrillen Charaktere, aber auch den Mut sich vom bequemen Disney-Stil wegzubewegen durchaus im Gedächtnis bleibt. Außerdem erkennt man das auch an der Welt. Hawaii als Ort ist ja durchaus von der Sonne durchzogen. Auch das ist etwas, was eher in die heile Welt passt und sich dann gar nicht an dieses Werk anpasst. Zumindest nicht in allen Momenten. Was allerdings erstaunlich ist, daß man vielleicht sehr lange wartete, bis man mit Vaiana – Das Paradies am Haken (2016), wieder einen Film in diesem Segment ansiedelte. Kurz um, der Film gefällt sich in seinem Genre und kann vor allem damit überzeugen, daß er das Medium auch nutzt. Es handelt sich hier um nichts weiter, als einen Cartoon. Manchmal etwas frech und gewagt.
Etwas zieht sich das Geschehen in Lilo & Stitch, dadurch, daß die Geschichte so altbekannt ist. Wer allerdings hinter die Fassade blickt, erkennt einen durchaus anderen und interessanten Film, der auch den Blick auf soziale Themen lenkt und mit seiner Protagonistin eine der spannendsten und nahbarsten Figuren des Disney-Kosmos aufweist.
Trailer zu Lilo & Stitch
