Bewertung: 3.5 / 5
Tja, während ich also weiterhin auf die Aufnahme des besten jemals gedrehten und zu drehenden Filmes aller Zeiten in der MJ Datenbank warte, kritisier ich jetzt auch mal filme, die ich normalerweise einfach mal links liegen lassen würde. Heute haben wir das Thema Selbstjustizreisser.
Selbstjustizreisser sind ein zweischneidiges Schwert (um es mal gelinde auszudrücken): Einerseits bedienen Sie die Urinstinkte eines jeden Menschen, andererseits haben sie eine extrem archaische und damit auch irgendwie ideologisch fragwürdige Komponente, die, wenn übertrieben oder falsch aufgesetzt, einen extrem üblen Beigeschmack - wenn man sich die Mühe des ein bißchen Mitdenken mal macht - haben kann.
Trailer zu Peppermint - Angel of Vengeance
Das Problem wird meistens irgendwie gebannt, indem die Rache möglichst grafisch und spektakulär ausfällt und der/die Bösewichte möglichts einfach und grausam gestrickt präsentiert werden. Außerdem setzt man noch einen charismatischen "Helden" als "identifikationsfigur" möglichst ikonisch in Szene und fertig ist der Selbstjustizreisser.
In meinen Augen sind die besten plumpen Selbstjustizreisser diejenigen, die sich erst gar nicht um irgendwelche rechtfertigenden Ecken kümmern, sondern möglichst geradlinig daherkommen. Oder eben diejenigen, die das Sujet irgendwie schon kritisch hinterfragen, sozusagen eine kleine Demontage betreiben. Ich spreche hier bewust von Selbstjustizreisser und nicht Rache-Actioner, weil ich gerade die Unterkategorie bespreche, in der einem Familienmenschen ein Unglück widerfährt, das System dieser person nicht wirklich hilft, so dass diese Person dann die Justiz in die eigene Hand nimmt. Außerdem ist für mich der Begriff Rache-Film mittlerweile untrennbar mit der sdkoreanischen Filmindustrie verwoben, wo das thema rache ausreichend, spektakulär und sehr intelligent zu Ende besprochen wurde mit diversen Titeln, die auch jenseits der berühmten Rache-Trilogie liegen.
Was hat das alles mit Peppermint zu tun? Verdammt viel, wie ihr gleich lesen werdet!
In peppermint geht es um eine Frau, deren Mann und Tochter von einer Gang umgebracht wurden, sie kann die Mörder zwar identifizieren, doch da diese Gang auch das System irgendwie in der Tasche hat, kommen alle frei. Die Frau taucht unter, bringt sich selbst alles Mögliche, was dafür nötig ist, sich zu rächen, bei und kommt am 5. jahrestag der Tode zurück, um alle möglichen Leute zur Rechenschaft zu ziehen.
Zuerst einmal muss ich sagen, dass der dramaturgische Unterbau exzellent aufgebaut wird. Die Fallhöhe wird ziemlich schnell und glaubwürdig etabliert. Es gibt sogar die eine Ambivalenz, die zeigt, dass diese Familie an einem Scheideweg war und gerade dabei ist, sich zu berappeln. Dies macht die folgende Entwicklung natürlich umso bitterer.
Als es dann zur Racheausübung kommt, etabliert die Handlung die Figur der Rächerin einerseits als eiskalt und berechnend, andererseits aber immer noch mit dem Herz am rechten Fleck (Parallelen zu Spawn und dem Punisher sind da natürlich Klischee oh Klischee nicht von der Hand zu weisen). Auch der Humor kommt nicht zu kurz, indem eigentlich nicht mehr relevante Nebenhandlungsbögen zufriedenstellen abgeschlossen werden (Sinngemäß: "Ich werde dein Haus abrennen mit dir da drinnen"). Was aber besonders hervorzuheben ist, ist dass wir eben nicht den einen Polizisten haben, der immer mehr Sympathien für die Figur entwickelt, ideologisch komplett mit ihr übereinstimmt usw.
Sondern der Film bleibt immer angenehm geradlinig, verfolgt sein Ziel mit angemessener Ambivalenz und bleibt bis zum Ende spannend und gut.
Klar, er ist eine Fingerübung insofern, dass er wirklich alle Stationen eines Selbsjustiz-Reissers akribisch wie nach Checkliste abarbeitet (inkl. das Monster hat ja selbst ein Kind, und jetzt?!?), selbst die Auflösung am Ende geht wieder in diese Richtung, aber eben nicht aus ideologischen Gründen, sondern rein persönliche und praktische.
Damit ist Peppermint solchen rohen und fragwürdigen Selbsjustiz-Vehikeln wie Punisher, Equalizer, Death Sentence, Death Wish (dazu gleich mehr) und erst recht dem thematisch extrem ähnlichen, und trotzdem meilenweit entfernten Gesetz der Rache um Lichtjahre voraus.
Was ihn beispielsweise von Death Wish abhebt - und ich spreche hier dem Original mit Charles Bronson (übrigens auch einer der Vorlagen für Joker) - ist eben der Umstand, dass er die moralische Fragestellung komplett ausblendet und nicht irgendeinen philopohischen Diskurs darüber anleiert. Death Wish macht eben genau das, aber der Film ist hintersinnig und schlau genug, dass er diese Frage bewusst offen belässt und ambivelent bleibt. Das hebt Death Wish nach wie vor über die Norm, und damit bleibt Death wish auch über 40 jahre nach erscheinen das Mass aller Dinge in diesem Subgenre.
Beispielsweise der Film Die Fremde in Dir/Mir (der mit Foster und Howard) ist ja im Prinzip ein 1:1 Remake, der genau an dieser moralischen aufarbeitung kläglich scheitert und zu einem revanchistischen Machwerk werden lässt.
Letztlich noch zur Einwertung dieses Genres: Natürlich muss ein Selbstjustizreisser revanchistisch sein. Es geht ja darum "Auge-um-Auge" für den Verlust der Familie zu bekommen. Und da kann man noch so pazifistisch veranlagt sein (siehe Death Wish), diesen Umstand kann jeder nachvollziehen, und wenn der Film das gut genug aufbaut, bin ich der letzte der nicht sehen will, wie der Schurke an seinen eigenen Gedärmen baumelt. Aber es muss auch immer im richtigen Kontext geschehen und darf gewisse gesellschaftliche Konventionen trotzdem nicht überschreiten. Das ist schwer zu erklären, ich will mal sublim77 zitieren wenn ich darf zur Veranschaulichung: Wenn in Atmic Blonde ein haufen Polizisten lediglich seinen Job macht und Charlize Theron in eine Falle gelockt wird, und anstatt einfach nur abzuhauen, was in ihren Fähigkeiten liegt, diese unschuldigen Polzisten abzuschlachten anfängt und das auch noch so inszeniert wird, dass das Publikum diesem Umstand auch noch zujohlt, dann macht der Film definitiv was falsch. Wenn Gerard Butler einen Zellennachbarn tötet, um in die Zelle zu kommen, die er vorbereitet hat, dann ist das nicht nur irgendwie fragwürdig, dann ist das komplett falsch. Usw.
Peppermint macht keinen dieser Fehler. Peppermint ist ein extrem angenehmer und sensationell routiniert inszenierter Selbstjustiz-Actioner mit einer glaubwürdig toughen Hauptdarstellerin, die keinen auf John Wick oder so macht, sondern einfach old School tough Lady ist.
Hut ab!
Für mich persönlich ein überraschend gelungener Beitrag in diesem zur schlechten Qualität neigenden Subgenre und locker in den Top 5 überhaupt angesiedelt.
7 Punkte