Bewertung: 4.5 / 5
Fangen wir an mit einem simplen Fakt: der Plot ist das Wichtigste an einem Film. Wir wollen gute Geschichten, klein und groß, intim und weltumspannend, clever konstruiert und gefüllt mit überraschenden Wendungen; wir wollen lebensnahe Charaktere, mit denen wir mitfiebern oder die wir abgrundtief hassen können. Der Plot regiert alles, der Rest ist nur Beiwerk.
Gehen wir über zum nächsten Fakt: der erste Fakt ist Quatsch. Natürlich reden wir uns gerne ein dass wir Filme nur der Story wegen gucken, aber ein Blick auf die erfolgreichsten Filme aller Zeiten widerlegt das schnell. Was Leute vor die Leinwand bringt ist Spektakel, Stars, prächtige Bilder und gegeben Falls etwas nackte Haut.
Und im Ernst, das ist kein echtes Problem. Ein Film der eine schwache Geschichte mit Stil, Charme und Tempo serviert ist üblicherweise meilenweit besser als einer der ein erstklassiges Drehbuch hat, aber lahm und inkompetent verfilmt wurde.
Was uns nun zu Suspiria bringt, Dario Argentos Horrorfilm der als exzellentes Beispiel für diese These taugt: der Plot ist dünn, wird kurz vor Schluss in einem exposition dump erklärt und endet dann komplett abrupt. Die Charaktere sind minimal ausgearbeitet und nicht wirklich interessant. Wer will, kann einen Haufen Elemente finden die nicht viel Sinn machen. Aber trotz alledem wird kaum jemand bezweifeln, dass er ein Höhepunkt seines Genres ist.
Das Zauberwort heißt in diesem Fall "Atmosphäre". Argentos Film schert sich nicht um den üblichen dunklen Look von Horrorfilmen und präsentiert sich stattdessen in knalligen Primärfarben, hier die Eingangshalle in tiefem Blau, dort ein Korridor in Weinrot und überall Tupfer von hellem Gelb. Die bewusst künstliche Beleuchtung folgt dem gleichen Farbschema, was Teile des Bildes hervorstechen lässt und dem Film ein einmaliges Gefühl gibt, auch ohne Worte wird dem Zuschauer klar dass hier etwas falsch ist, nichts scheint ganz real zu sein, so als würde man einem Alptraum zusehen. Wenn weiße Betten vor einer schwarzen Silhouette umgeben von dunkelrotem Leuchten stehen oder kränkliches gelbes Licht den scheinbar einzigen Ausweg markiert kommt das unangenehme Kribbeln ganz von alleine. Der Soundtrack - beigesteuert von der Band Goblin - leistet mit schiefen, wabernden Tönen ebenfalls seinen Beitrag dazu, den Film möglichst unkomfortabel zu machen.
Unter dieser einmaligen Oberfläche befindet sich nicht viel, die Geschichte um die junge Suzy (Jessica Harper) die einer Ballettschule beitritt, deren Mitglieder reihenweise ermordet werden, ist nur ein Aufhänger für den visuellen Trip - und das ist vollkommen in Ordnung. Dies ist ein unvergesslicher Film, nicht durch die Kraft der Worte, sondern die der Bilder, jede Aufnahme gruselig, verzückend schön, oder beides. Er ist durch und durch die Manifestation der Worte visuelles Medium und verlangt es geradezu um Mitternacht auf der größtmöglichen Leinwand gesehen zu werden. Und schon das alleine macht ihn zum Klassiker.