Es war womöglich die künstlerische Obsession seines Lebens: Im Zuge seiner steten Kreation künstlerischer Meilensteine erschien es für Meisterregisseur Stanley Kubrick wohl anziehend, dass er weite Teile seiner Karriere einem nach Macht und Ansehen strebenden Menschen wie Napoleon verschrieb. Viele Jahre zogen ins Land, an denen er an einem filmischen Denkmal für einen der berühmtesten Menschen der Weltgeschichte werkelte.
Zwar konnte er seine Pläne nie in die Tat umsetzen, doch der imposante Wälzer "Stanley Kubrick’s Napoleon: The Greatest Movie Never Made" gibt Aufschluss über jenen akribischen und auslaugenden Prozess. Nun betont Weggefährte und Bewunderer Steven Spielberg erneut sein Vorhaben, diese Arbeit zu würdigen, indem er gemeinsam mit HBO eine Napoleon-Serie aus dem Boden stampft. Das teilt der Regisseur von Die Fabelmans im Zuge der Berlinale 2023 mit:
Steven Spielberg told Berlinale2023 that he’s adapting Stanley Kubrick’s lost film ’Napoleon’ into a limited series for HBO pic.twitter.com/PBqHzPQNkt
— Deadline Hollywood (@DEADLINE) February 21, 2023
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Wege der beiden Regielegenden kreuzen. Kubrick, der bereits 1999 starb, hatte neben seinem nie realisierten Napoleon-Film auch ein Skript über einen kleinen Roboterjungen verfasst, der gleich wie Pinocchio davon träumte, ein echter Mensch zu sein. Als Ausgangspunkt diente ihm die von Brian Aldiss verfasste Kurzgeschichte "Supertoys Last All Summer Long". Das von Kubrick verfasste Drehbuch nahm sich letztlich Spielberg zur Brust und veröffentlichte im Jahr 2001 das Werk A.I. - Künstliche Intelligenz mit Haley Joel Osment und Jude Law.
Zu Lebzeiten sagte Kubrick einmal, dass Spielberg womöglich der richtige Mann sei, um dem Stoff neues Leben einzuhauchen. Seine Herangehensweise würde womöglich gelenker ausfallen. In der Folge seines Todes wurden Spielberg über 1000 Zeichnungen zu A.I. von Kubricks Schwager und langjährigen exectutive Producer Jan Harlan übermittelt. Es darf dennoch angezweifelt werden, ob Kubrick das publikumsnähere Resultat gefallen hätte, denn gegen den für Spielberg typischen Pathos schien dieser radikal visionäre Geist immun, wenn es um seine ganz persönliche Perspektive auf das Kino und die Psychologie der von ihm erdachten Figuren ging.
Schindlers Liste soll Kubrick derart beeinflusst haben, dass er seine seit 1976 verfolgte Idee eines Holocaust-Beitrags, der unter dem Arbeitstitel "Aryan Papers" bekannt ist, nicht mehr verfolgte. Demgegenüber scheint er im Nachgang über die Perspektive von Spielbergs Film verärgert gewesen, da dieser nach seinem Ermessen nicht annähernd das Leid der über sechs Millionen ausgelöschten Existenzen zum Ausdruck brachte und sich stattdessen einigen hundert geretteten Seelen widmete.
Nun also soll ausgerechnet Spielberg eine siebenteilige Miniserie über Kubricks Napoleon-Skript für einen Streaming-Dienst realisieren. Ob dem Regisseur von 2001 - Odyssee im Weltraum dieser Schachzug geheuer wäre, darüber darf man trefflich streiten, doch wir denken, dass Kubrick dieses Epos ausschließlich für die große Leinwand intendiert hatte und ihm heutige Vermarktungstrends wohl missfallen würden. Hinsichtlich des derzeitigen Erstarkens monumentaler Laufzeiten hätte ein umfassend angesehener Künstler, wie er es war, womöglich gute Karten gehabt, um seine Vision fürs Kino in Stellung zu bringen.
Bei aller Kritik muss man entgegenhalten, dass die geplante HBO-Serie in Zusammenarbeit mit Witwerin Christiane Kubrick und ihrem Bruder Jan Harlan realisiert werden soll. Demnach dürfte einigermaßen sichergestellt sein, dass den unermesslich hohen ästhetischen Maßstäben von Stanley Kubrick Rechnung getragen wird. Harlan bestätigte einst, dass Kubrick zu Lebzeiten seinen Napoleon keiner anderen Person übertragen hatte. Daraus lässt sich wohl schließen, dass das nie in die Tat umgesetzte Werk zunächst sein ganz persönlicher Traum eines unvergleichlich monumentalen Filmereignisses bleiben sollte.
Mit der von Steven Spielberg geplanten Veröffentlichung könnte man fast meinen, dass sich da zwei alte Feldherren des Blockbusterkinos duellieren möchten, denn auch Ridley Scott plant einen eigenen Beitrag über den legendären Strategen. Jahrelang wurde sein Projekt unter dem Namen "Kitbag" geführt, doch demnächst wird das Werk mit historischem Unterbau unter dem deutlich weniger aufregenden Titel Napoleon via Apple TV+ veröffentlicht werden. Es wird in jedem Fall spannend zu sehen sein, wie Hollywoods Wunderkind Stanley Kubricks Vermächtnis als Produzent adeln möchte.
In zwei Wochen darf man sich aber erst einmal auf Die Fabelmans freuen, denn der neue Spielberg-Film wird am 9. März in unseren Kinos starten und wir können bereits sagen, dass sich diese magische wie herzerwärmende Reise in den Dunstkreis des legendären Filmemachers lohnt (siehe unsere Kritik).