Bewertung: 4.5 / 5
Mein Haupteindruck nach dem Kinobesuch: Wenn man "Ad Astra" gesehen hat, benötigt man in der heutigen Zeit im Prinzip kein Remake von "Alien" und "Apocalypse Now" mehr. James Gray verhandelt altbekannte Themen auf höchsteindrucksvolle, spannende Weise und fühlt sich im Hard-Science-Fiction-Genre offensichtlich pudelwohl, mit Hoyte van Hoytema als Kameramann ("Interstellar"), einem Komponistenteam bestehend aus u.A. Max Richter, Lorne Balfe und Nils Frahm sowie Brad Pitt als Hauptdarsteller, der selbst die kleinsten mimisch-emotionalen Regungen spielen kann, verfügt Grey allerdings auch über genau die richtigen Kreativmitarbeiter.
Kann es im aktuellen Kino etwas Schöneres geben, als gemeinsam mit Brad Pitt zum Pianomusikstück "Says" von Nils Frahm zum Mond zu fliegen? <3
Trailer zu Ad Astra - Zu den Sternen
In der nahen Zukunft leben die Menschen auf der Erde in einer vollkommen durchpsychologisierten, entemotionalisierten, entmenschlichten und kapitalisierten Gesellschaft. Roy McBride (Brad Pitt) arbeitet als Raumfahrtingenieur für die U.S. Space Command (SpaceCom), er gleicht einem Roboter, einer Arbeitsmaschine, regelmäßige psychologische Tests kontrollieren den mentalen und emotionalen Zustand, um menschlichem Versagen vorzubeugen. Der Job und SpaceCom sind alles für Roy McBride, er hat keine Frau und keine Kinder, die Beziehung zu seiner Freundin Eve (Liv Tyler) steht kurz vor der Trennung.
Eine rückwärtsgewandte Flucht aus dieser Gesellschaft bzw. diesem System bedeutet, die Flucht ins Weltall anzutreten. Eine nierderschmetternde Erkenntnis: Um dem System zu entkommen, entfernen sich die Menschen immer weiter von der lebensspendenden Sonne und den Mitmenschen auf der Erde. Genau das tat Roys Vater Clifford McBride (Tommy Lee Jones) 29 Jahre zuvor, als er zur Weltraumsuche nach intelligentem Leben aufbrach und dabei bis zum Neptun vordrang. Dafür wird er als Raumfahrtpionier und Volksheld gefeiert, seine Mission gilt seit 16 Jahren allerdings als verschollen und die Crew ist als tot erklärt. Scheinbar, denn SpaceCom kann Messungen eines auf der Erde verheerenden Strahlensturms zum Neptum zurückverfolgen und schickt daher Roy McBride auf eine Geheimmission, um seinen Vater zu finden und die Urasche des Strahlensturms zu bekämpfen.
Breitet sich der Mensch im Weltall aus, folgt ihm in "Ad Astra" auch der Kapitalismus, von McBride als Weltenfresser bezeichnet macht sich der Mensch die neuen Welten (hier vorerst: Mond und Mars) sowie deren Ressourcen Untertan, verlässt man auf dem Mond das Raumschiff, blitzen einem im Raumfahrthafen als Erstes die Logos von DHL und Subway entgegen. Je weiter man sich jedoch von der Erde entfernt, desto schwächer wird das kapitalistische System, seine Macht bröckelt und es erhält Risse. Auf dem Mond ist die militärisch-staatliche Sicherheit und Macht in einer wirtschaftsstarken und ressourcenreichen Region zu schwach, wie in der Karibik oder vor Somalia bzw. wie im Wilden Westen entwickeln sich Piraterie und Raubüberfälle für ärmere Gesellschaftsschichten zu einem lukrativen Geschäft. Abseits vom Inhaltlichen handelt es sich bei der Verfolgungsjagd auf dem Mond zudem um eine hervorragend inszenierte Actionszene!
Nichtsdestotrotz übt SpaceCom auch auf dem Mond, auf dem Mars und darüberhinaus starken Einfluss auf die Menschen als Individuum und die Gesellschaft aus, egal ob sich man auf einem Himmelskörper oder irgendwo im Weltraum in einem Raumschiff befindet. Es muss stets im Sinne SpaceComs und ihrer Grundsätze gehandelt werden, deren Image darf in der Öffentlichkeit keinen Schaden nehmen. Daher wird Clifford McBride öffentlich auch als Held gefeiert, obwohl er im Geheimen getötet werden soll, weil seine Mission die Ursache für den Strahlensturm darstellt.
Je weiter sich Roy McBride von der Erde entfernt, desto natürlicher, emotionaler, irrationaler und menschlicher reagiert er auf sein Umfeld, das roboterhafte Verhalten legt er mehr und mehr ab. Insbesondere sein bisher verdrängter und unaufgearbeiteter Vaterkomplex bricht dabei hervor, Roy wird sich der Liebe zu seinem Vater voll bewusst und leidet darunter, stets auf seine Rolle als Sohn des berühmten Vaters reduziert zu werden und ausgerechnet deshalb dennoch in seine Fußstapfen treten zu müssen. Dem Sohn werden die Heldentaten und Sünden des Vaters auferlegt und er wird daran gemessen. Gray positioniert diese menschliche Identitätsfrage als zentralen inneren und äußeren Konflikt in der menschenleeren und menschenfeindlichen Weite des Weltalls, was die entmenschlichte Situation auf der Erde perfekt wiederspiegelt. Als Highlight dessen stellt sich der physische und psychische Kampf zwischen Clifford und Roy heraus, Van Hoytema filmt sie in Großaufnahme, zwei Menschen in der großen und schwarzen Leere des Weltraums vor der Kulisse des Neptuns.
Cliffords Menschenbild ist pessimistisch, er hält die Menschheit für verloren, weil sie die eigenen Schwächen, die Entmenschlichung und das kapitalistische System nicht überwinden könne. Die einzig mögliche Rettung des Menschen besteht für ihn darin, immer weiter ins Weltall vorzudringen, in der Hoffnung, außerirdisches und besseres Leben zu finden. Allein dessen Existenz würde das allgemeine Überleben lebendiger Materie und speziell des intelligenten Lebens sichern. Dementsprechend in seinen Grundfesten erschüttert reagiert Clifford auf die Tatsache, dass er kein Leben findet, denn was ist der Mensch, wenn weder Gott noch außerirdisches Leben existieren? Das einzig in der Form intelligente Leben im Universum, welches sich jedoch selbst und den eigenen Heimatplaneten zugrunde richtet. Eine erschreckende und verängstigende Vorstellung, welche Cliffords Verhalten und Gefühlswelt allzu nachvollziehbar macht.
Roy hat gegen Ende der Reise sein menschliches Wesen und seinen Optimismus soweit zurückerlangt, dass er seinen Vater retten und zur Erde zu rückkehren möchte. Clifford weigert sich und wehrt sich radikal, Roy akzeptiert den Suizid letztendlich verzweifelt, auch zur Rettung seines eigenen Lebens. Daraufhin kehrt Roy zur Erde zurück und geht einen Kompromiss zwischen dem bestehenden System und seinem menschlichen Wesen ein, was die Beziehung zu seiner Freundin vor der Trennung bewahrt. James Gray gibt damit einen äußerst pessimistischen Zukunfsausblick, entweder man arrangiert sich mit dem kapitalistischen, entemotionalisierten System oder man stirbt. Wobei das System nichtsdetstotrotz den Tod als Folge nachsichzieht, Roy McBrides Wegbegleiter auf der Reise gen Neptun sterben in den meisten Fällen dennoch, obwohl oder gerade weil sie die Vorschriften und Befehle SpaceComs (z.B. die Ermordung Roys) befolgen und gar nicht erst hinterfragen.
Fazit: Es ist verdammt schade, dass "Ad Astra" trotz des enormen Kritikerlobs an den Kinokassen floppt. Für mich einer der besten Filme des Jahres und gerade solche Filme hat das aktuelle Hollywood- und High-Budget-Kino neben all den Franchiseblockbustern bitter nötig. Ich kann jedem Filmfan und insbesondere jedem Science-Fiction-Fan nur empfehlen, sich "Ad Astra" im Kino anschauen!