Bewertung: 4 / 5
Sacha Baron Cohen hat klammheimlich einen Nachfolgefilm für seinen Überraschungserfolg von vor 14 Jahren gedreht, und wieder einmal geht er ins tiefste Herz der Vereinigten Staaten, um eine verstörend bizarre Bestandsaufnahme eines zutiefst gespaltenen Landes aufzuzeigen. Doch diesmal ist die ganze Sache gerade auch deshalb so verstörend, weil es eben nicht mehr so verstört und vor allem eben nicht nur die Vereinigten Staaten betrifft. Doch eines nach dem Anderen.
Die Story ist so rudimentär wie üblich und dient auf dem ersten Blick nur als Bindeglied zwischen den jeweiligen echten Szenen: Borat hat damals Schande über sein Land gebracht und fristet sitdem ein Dasein im Gulag. Plötzlich wird ihm die Möglichkeit gegeben, freizukommen, indem er dem Vize-Präsidenten einen Affen schenken soll. Doch seine 14-jährige Tochter isst den Affen, und um nicht wieder in Gefangenschaft zu landen oder gar exekutiert zu werden, heisst es plötzlich, dass er seine Tochter verschenken soll.
Trailer zu Borat - Anschluss-Moviefilm
Soweit so widerwärtig und altbekannt. Aus dieser Prämisse heraus entwickelt Cohen mit seiner brillanten Entdeckung Maria Bakalove (die übrigens natürlich nicht minderjährig ist) immer wieder Konstellationen, um den aktuellen Sachstand in den USA aufzuzeigen.
Da er nun natürlich deutlich bekannter ist als vor 14 Jahren, was auch immer wieder thematisiert wird, muss also eine tatsächliche Handlung in den Vordergrund rücken. Und Cohen macht das, was das einzig richtige ist, und was er seit jeher gemacht, wenn er in solche Rollen geschlüpft ist, seien sie nun Borat oder Brüno: Er lässt den Zeitgeist die Handlung diktieren und agiert auf seine brillant-naive Art und Weise, um seine Adressaten abzuholen: Seien es nun Priester, Verkäufer oder Väter auf einem Abschlussball.
Und auf diese Art gelingt es ihm auf geradezu geniale Art und Weise die aktuellsten derzeitigen Themen alle unter einen Hut zu bringen, ohne dass es die Leute merken, da sie alle auf den politischen Subkontext fokussiert sind:
1. Ist da natürlich der politische Kontext des rechten, immer stärker zurück orientierten USA, das sich irgendwelchen seltsamen Verschwörungstheorien hingibt, inkl. Aussagen über die Clintons.
2. Haben wir natürlich die aktuelle Corona-Situation, welche ab der zweiten Hälfte den Film komplett dominiert
3. Haben wir die Stärkung des weiblichen Bewusstseins im Zuge de Me-Too Ära.
All diese Punkte harmonieren gleichermassen, da sie auch inhaltlich und gesellschaftlich Hand in Hand gehen. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass eine der größten aktuelleren Skandale zu diesem Thema ausgerechnet beim News-Sender Fox aufgetreten ist.
Es ist daher auch gar nicht nötig, den ersten mit dem zweiten Film zu vergleichen, da man gar nicht vergleichen muss, es ist eine Bestandsaufnahme. Es wäre so, wenn man zwei Jahreszahlen miteinander vergleicht, das macht einfach keinen Sinn.
Cohen lässt Borat wieder einen Roadtrip mit Selbsterkenntnis durchlaufen. Während er damals Liebe kennen lernte, wacht er nun auf, und erkennt sein Vaterherz. Und er geht diesmal sogar so weit, dass er Borat bei diesem Abschluss quasi für weitere Filme wertlos macht, da es den Antisemiten und Übermacho einfach nicht mehr gibt.
Doch das ist ihm offensichtlich herzlich egal, da er eine Message unter das Volk bringen möchte, die es ihm wert ist, dass er seine einstige Kultfigur reaktiviert und uns den Spiegel vorhält. Natürlich trifft er nicht mehr so sehr ins Mark wie vor 14 Jahren, aber das liegt nicht daran, dass er zahmer geworden ist, sondern es liegt daran, dass es mittlerweile jeder zweite "Promi" plötzlich gefühlt vor der Kamera eine Kernschmelze durchläuft, die Anhänger trotzdem dranbleiben und jeder noch so bizarre Ausbruch eines gewissen Staatsmannes ihn noch populärer macht. Am erschreckendsten wird das bei einem Konzert deutlich, wo das Publikum plötzlich die Refrains mitsingt.
Und ganz ehrlich: So weit sind wir hier davon auch nicht entfernt!
Daher halte ich auch die Giulliani Szene auch nicht unbedingt für die beste des Filmes, denn das ist zwar ziemlich entlarvend, ja, aber der Mann wird auch ganz klar in eine Falle gelockt, klar verdient, selbst eingebrockt, ekelhafter Typ und so, aber alles drumherum macht den Film einfach zu etwas viel wertvollerem. Wenn wir innerhalb von 90 Minuten das Erachen einer Frau miterleben, dann ist das einfach eine schöne Message. Und wie gesagt Bakalova ist genial in ihrer Rolle, die dem bisherigen Umtrieb Cohens und Konsorten in Nichts nachsteht.
Ich konnte nicht umhin, in dieser Quirligkeit eine gewisse Ähnlichkeit zur jungen Isla Fisher zu erkennen. Warum auch nicht ;-)
Alles in allem ein weiterer genialer Semidokumentarischer Cohen Film, der ähnlich hochkarätig daher kommt wie der erste Film und wie Brüno, und der auch diesmal eben die Erwartungen unterläuft, eben weil er auch eine andere Story erzählt, die ebenso wichtig ist wie die Offensichtliche. Und nein, ich habe diesmal nicht Tränen gelacht, aber dafür war ich deutlich nachdenklicher, da hier wirklich sehr viele Ebenene bedient wurden. Bravo!
Locker mal 8 Punkte!