Bewertung: 3.5 / 5
Fatih Akins Romanverfilmung von Heinz Strunks "Der goldene Handschuh" behandelt die Existenz und die Lust an der Gewalt von Fritz Honka, einem entstellten, vom Leben gepeinigtem und alkoholkranken Serienmörder im Hamburg der 70er Jahre.
Trailer zu Der Goldene Handschuh
Dieser ermordet eines Tages eine Frau in seiner Wohnung, zerstückelt sie und verteilt die Teile in einem Versuch, unentdeckt zu bleiben. Oft verbringt er seine Abende in der Kiezkneipe "Zum Goldenen Handschuh" mit ähnlich vom Glück gemiedenen Gestalten, wo sie die Nacht dem Rausch billigen Fusels und den Versuchen verlebte Frauen aufzureißen widmen. Als Honka die ältere Gerda zu sich nimmt, aber an einer Erektionsstörung leidet, penetriert er sie mit Kochzubehör und macht sie in der folgenden Zeit zu einer Art persönlichen Haushälterin und Lustsklavin, lässt sie sich ihm "überschreiben" und verhofft sich Verkehr mit ihrer Tochter Rosi. Gerdas Flucht in die Obhut einer Dame von der Heilsarmee erzürnt ihn so stark, dass er zwei Frauen zu sich einlädt und eine wütend ermordet - die andere kann entkommen. Nach einem Autounfall beginnt Honka ein Leben als nüchterner Nachtwächter. Während seiner Arbeit verliebt er sich in die Putzfrau Helga - diese ist allerdings verheiratet und Honkas Versuch, sich ihr aufzuzwingen, schlägt fehl. Nach seiner Rückkehr auf den Grund der Flasche erlebt er eine erneute Dysfunktion, diesmal mit einer früheren Zwangsprostituierten. In seinem Zorn missbraucht, würgt und erschlägt sie schließlich, als sie von ihm stiehlt. Da er seine Opfer zerstückelt in die Winkel hinter seinen Wänden und auf den Dachboden gestopft hat, ist der Gestank in seiner Wohnung zunehmend unerträglich. Obwohl er versucht, den Geruch mit Duftbäumchen zu übertünchen, kann er doch nicht verhindern, dass Maden seine Nachbarn erschrecken und indirekt einen Brand im Haus auslösen. Während der Löschung werden die Körperteile seiner Opfer geborgen und Honka verhaftet - das nächste Objekt seiner Begierde, eine Schülerin, die ihm im Goldenen Handschuh aufgefallen war, fällt ihm nicht zum Opfer.
Die Romanfassung wurde von dem tatsächlichen Fall Honka inspiriert und auch der Film wirkt eher „inspiriert“ als dem Material pflichtbewusst erlegen. Zum Zwecke dieser Kritik soll es aber um Akins Version gehen und Vorlagen- sowie Realitätstreue weitestgehend ignoriert werden. Fritz Honka - in seiner Stammkneipe auch als Fiete bekannt - ist eine jämmerliche Gestalt. Durch Verletzungen und das Leben in harten Verhältnissen gezeichnet, hat er wenig zu lachen und noch weniger Glück beim anderen Geschlecht. Seine Tage sind beschwerlich und er hangelt sich ganz im guten Ton seines bevorzugten Sufflochs von einem Fuselrausch zum nächsten.
Der Handschuh ist ein Schmuckstück der besonderen Art, ein so hoffnungslos schmieriges Etablissement, dass man das Setdesign nur bewundern kann. Die Runde der Stammgäste schließt alle ein, die sich so elend fühlen, dass ein (für die Leinwand markenbefreites) Fanta-Korn den Höhepunkt ihrer Nacht darstellt - Gestrandete allesamt, ein loser Verband des Bodensatzes in Altona. Die Darstellung kommt beinahe an die Realität einer vor Verzweiflung stinkenden Eckkneipe heran. Die Kunden sind hässlich, verbraucht, krumm und vom Leben niedergedrückt. Manchmal, wenn ein nostalgischer Schlager die Szenerie komplementiert, weht ein Hauch von Verständnis durch den Kinosaal und ein Bedauern für so viel, was mal anders hätte werden können. Doch nun ist das nächste Ziel immer nur das neu gefüllte Glas und vielleicht irgendwann ein Erguss, wenn man genug getrunken, Unsinn gelallt und gepöbelt hat.
Im Handschuh ist jede Szene ein gelungenes Stück immersive Kunst: nicht nur fängt das Set die von Strunk beschworene Atmosphäre eines jämmerlichen Mikrokosmos ohne Kontakt nach oder Interesse an außen ein, man kann den Mief von durchgesessenem Furz, vergossenem Cola-Korn und allerlei menschlicher Ausscheidungen auf der Haut spüren. Selbst wenn man dazu neigt, die Augen vor besonders widerlichen Bildern zu schließen - was man hört, ist im Dunkeln schlimmer (das gilt nicht nur für überdeutliche Schmatzer von Mord und Missbrauch, sondern auch für die absolut grauenhafte musische Untermalung). Klare Empfehlung: am besten guckt man den Streifen in einem ordentlich vergrabbelten Programmkino, in einem kuscheligen Franchisepalast ist die Distanz zum Dreck einfach zu groß. Positiv fällt auf, dass nicht die allzu einfache Schiene der gnadenlosen Entsättigung zwecks "Grundstimmung" gefahren wurde. Stattdessen herrschen die Farben der Siebziger vor - ocker, beige, pissgelb und Fleischwurst.
"Der goldene Handschuh" steigt ein, wo es blutig wird. Wie versprochen gibt es hier keine Gegenüberstellung von Roman und Verfilmung - nur so viel: der kinobesuchende Leser wird feststellen, dass ein nicht unbedeutender Batzen von Honkas Vorgeschichte und Motivationsbildung fehlt, nämlich praktisch alles. Dies scheint allerdings zu hundert Prozent von Akin beabsichtigt zu sein und stellt daher technisch gesehen keinen Makel dar, sondern eine dem begrenzten Medium geschuldete Entscheidung. Ebenso gestrichen wurde die Nebenhandlung der Familie Dohren sowie einige Teile der Geschichte um Gerda.
So bleiben für Honka 110 Minuten, um sich von seinen ekelhaftesten Seiten zu zeigen, und derer hat er einige. In seiner Bande von Kriegsveteranen, Obdachlosen, Prostituierten, Verlierern und Vernichtungstrinkern bleibt Fiete besonders abstoßend. Und oh, wie tut es doch weh, zu sehen, wie dieser krumme Haufen Elend sich durchs Leben zieht, wie schaudert es sich vor dem Morast seiner Höhle und wie zieht es sich mir zusammen, wann immer er eine Frau auch nur scheel ansieht (Gott ich wünschte, er würde nur gucken). Die schier endlose Tortur, zuzusehen und -zuhören, wie er sich mit dem Zersägen eines Leichnams abrackert, bietet einen guten Vorgeschmack - wem jetzt schon schlecht wird, wechsle vielleicht besser den Saal.
Vermutlich braucht es wirklich einen Horrorliebhaber, um dem "Handschuh" gerecht zu werden, aber ich bin keiner. Das soll nicht heißen, dass ich die intensive Abscheu, die Jonas Dasslers Honka da hervorzaubert, nicht genießen kann. Vielmehr hätte ich mich nach einer Stunde am liebsten selbst mit einer Cola-Korn dazugesetzt. Denn so sehr Akin einen die beklemmende Gewalt und all den Hass nicht abschütteln lässt - die Darstellung des Milieus im Handschuh ist ihm doch gelungen. Intensive Szeneromantik, die ja doch gern und auch zurecht breit über die Darstellung des Hamburger Nachtlebens gepinselt wird, lässt er völlig aus und bietet damit zwar kaum eine emotionale Verschnaufpause, aber ein in sich schlüssiges Gesamtpaket.
Da Verfilmungen oft schwierig zu beurteilen sind und den Anforderungen verschiedener Gruppen ausgesetzt sind, eine Runde Frage und Meinung:
Muss man das Buch gelesen haben? Nein. Wem die Darstellung Honkas Motive zu kurz kam, kann man das Original jedoch ans Herz legen.
Handelt es ich um eine Dokumentation zum Fall Honka? Nein!
Handelt es sich um eine gelungene Buchverfilmung? Mit einem dicken "basierend auf…" vielleicht ein halbes Jein.
Handelt es sich um einen guten Film für die erste Verabredung mit einer nicht weiter bekannten, aber attraktiven Person? Das kommt sehr darauf an, wie wichtig einem die Toleranz für herbere Filmkost beim anderen ist. Vegetarierfreundlich ist das saftig spritzende Knacksen beim Zerteilen der Toten nicht.
Macht der Film auch für nicht-Horrorfilmfans was her? Wer kein allzu übles Problem mit Gore und Interesse am Trailer hat, kann es definitiv probieren. Extra Warnung für sexuelle Gewalt an dieser Stelle.
Das Buch mochte ich, aber habe Sorgen, dass es wie so viel Serienmörder-Material zum Gewaltporno verdrechselt wurde. Ganz so in der Grafik wie der Roman schwelgt der Film nicht - viel der Grausamkeit ist impliziert und findet verdeckt statt oder wird durch die Reaktion und den Ekel Honkas selbst gezeigt. Dabei wird er weder glamourös als charismatischer Gentleman noch als besonders cleveres Genie gezeichnet.
Im Trailer fand ich die Stammbesatzung des Handschuhs und den humpelnden Honka ziemlich überzeichnet - wird sich da eigentlich nur über die Schäbigkeit lustig gemacht? Meiner Ansicht nach nicht. Ihre Natur wird eher als grob und flach dargestellt, dumm, wo sie dumm ist und erlaubt einen Lacher, wo es was zum Lachen gibt. Und Alkohol in diesen Mengen macht nun mal grob und flach, nicht übertrieben komisch.