Bewertung: 4 / 5
Wer seinen Film mit Referenzen an gleich zwei Meisterwerke eröffnet, hat eine Menge Selbstvertrauen. Regisseur Baz Luhrmann spielt hier aber nicht nur mit bloßen Zitaten wie der auf ewig an "Citizen Kane" gemahnenden Schneekugel, sondern übernimmt von Welles Klassiker auch die narrative Struktur. Wir sehen in der ersten Szene also Colonel Tom Parker im Sterbebett und davon ausgehend wird die Lebensgeschichte eines großen Amerikaners als Rückblende ausgerollt. Hier kommt denn auch das zweite Werk ins Spiel, bei dem "Elvis" deutliche Anleihen nimmt, denn wie in "Amadeus" wird uns die Geschichte aus der Sicht eines unzuverlässigen Erzählers geschildert.
Dies gibt Luhrmann die Möglichkeit mit bestimmten Fakten sehr frei umzugehen, andere selektiv auszusparen oder nur kurz abzuhandeln und sogar Anachronismen wie Hip Hop-Musik einzubauen, ohne dass man ihm das zum Vorwurf machen könnte.
Trailer zu Elvis
Statt in den erprobten erzählerischen Bahnen der großen Vorbilder zu bleiben, gibt Luhrmann dem Ganzen einen eigenen Dreh, denn tatsächlich erzählt er mit "Elvis" eine Superheldengeschichte. Wir sehen zunächst die Origin-Story, die zeigt wie der Junge aus ärmlichen Verhältnissen, der gerne so wie der DC-Held Captain Marvel (soon to be known as "Shazam") wäre, seine "Superkräfte" in einem ekstatischen Gottesdienst der schwarzen Community erlangt. Unserem überlebensgroß stilisierten Superhelden steht mit Colonel Tom Parker auch ein klarer Antagonist gegenüber, der - wie es sich für einen Bösewicht geziemt - sogar einen Codenamen ("The Snowman") führt und nicht zuletzt folgt die Story auch der für Heldengeschichten typischen Drei-Akt-Struktur.
Über den "Kampf" zwischen Held und Bösewicht verhandelt der Film vor allem den Widerstreit zwischen künstlerischer Integrität und Kommerzialisierung. Darüber hinaus nimmt auch die leider wieder aktuelle Frage von Zensur in der Kunst eine größere Rolle ein. Der Fokus liegt aber auf dem Innenleben des Jahrhundertkünstlers, der durch sein Umfeld und seine inneren Dämonen unterzugehen droht und natürlich auf den mitreißenden musikalischen Performances.
Inszenatorisch zieht Luhrmann wie zu erwarten war sämtliche Register. Die Rückblende in die früheste Kindheit wird sogar als Animationsfilm gezeigt, doch auch davon abgesehen lässt der Einstieg das Finale von Brian De Palmas "Carrie" wie einen konventionell inszenierten TV-Film wirken. Was hier an assoziativer Montage, Split Screens, Match Cuts und Überblendungen auf den Zuschauer einprasselt, entwickelt einen rauschhaften Sog, der sich erst im letzten Drittel etwas beruhigt. Hier bekommt der Film dann leider auch einige Pacing-Probleme, da hätte man im Schneideraum besser etwas Ballast abwerfen sollen. Und obwohl der Film sich in diesem Teil etwas zieht, kommen einige der späten Entwicklungen in Elvis Leben wiederum zu plötzlich daher.
Beim Musikeinsatz bekommt man glücklicherweise nicht das Gefühl, dass hier pflichtschuldig ein Best of abgespult wird, sondern oft passt der gewählte Song auch zu der gerade ablaufenden Filmhandlung und kommentiert diese; bei "Trouble" und "Suspicious Minds" wird dies besonders offensichtlich. Neben Elvis-Songs kommen dabei auch einige seiner Inspirationen aus der schwarzen Musikszene zu ihrem Recht, was eine schöne Geste darstellt. Übrigens: Wer beim Abspann sitzen bleibt, bekommt noch eine nette Meta-Anspielung auf den King serviert, wenn dort ein anderer weißer Künstler, der ein schwarzes Musikgenre in den Mainstream gebracht hat, quasi als dessen spiritueller Nachfolger erklingt.
Wenn Austin Butler nächstes Jahr bei den Oscars nicht zu den fünf Nominierten als bester Hauptdarsteller zählt, war 2022 entweder ein überragendes Jahr was männliche Hauptrollen angeht oder die Academy hätte mal wieder einen Bock geschossen. Stimme, Duktus und Tanzbewegungen des King hat er sich perfekt angeeignet, während beim Gesang in den meisten Fällen ähnlich wie bei "Bohemian Rhapsody" mit Originalaufnahmen etwas nachgeholfen wurde, was sicher die richtige Entscheidung war, da Elvis Stimme so markant ist, dass es einen wohl aus der Immersion reißen würde, wenn sie im Film ganz anders klänge. Der einzige kleine Kritikpunkt, den man an seiner Darstellung anbringen könnte, ist der, dass man ihm den abgewrackten Vegas-Elvis am Ende nicht ganz abnimmt, weil er auch da noch zu schön aussieht, aber das ist eher nebensächlich. Der mit Fatsuit und komischem Akzent agierende Tom Hanks spielt den Colonel mit wenig Nuancen, aber da er einen waschechten Comicschurken darstellt, geht das hier absolut in Ordnung.
"Elvis" ist eine Tour de Force, die einige interessante kritische Aspekte aufgreift, aber in erster Linie als rauschhafter audiovisueller Exzess daherkommt. Ein Film, der fürs Kino gemacht ist.