Bewertung: 4.5 / 5
1944: Mit der Hilfe des verrückten Mönchs Rasputin versuchen die Nazis vor der Küste Großbritanniens ein Tor für die Ogdru Jahad, den sieben Gottheiten des Chaos, zu öffnen. Durch einen beherzten Angriff können die Alliierten zusammen mit Professor Bruttenholm, einem Experten für das Übernatürliche, die Nazis im letzten Moment stoppen. Doch etwas hat den Weg durch das Tor auf unsere Seite geschafft: eine kleine Teufelsgestalt, von den Soldaten liebevoll „Hellboy“ getauft. 60 Jahre später wird der junge Agent Myers zum BPRD, dem Bureau for Paranormal Research and Defense, abberufen. Bruttenholm, mittlerweile alt und todkrank, sucht einen Nachfolger. Denn immerhin ist Hellboy zwar seit 60 Jahren auf der Erde, aber mental immer noch ein bockiger Jugendlicher, der isoliert von der Welt seiner verflossenen Liebe Liz nachtrauert. Und zu allem Überfluss taucht auch noch Rasputin nach seinem scheinbaren Tod wieder auf, um Hellboy seiner Bestimmung zuzuführen...
Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber 2004 war die Comicverfilmung noch keine sichere Bank. Zwar erschien mit „Spider-Man 2“ ein veritabler Kassenschlager, der auch heute noch regelmäßig vordere Plätze in Bestenlisten einnimmt, doch im Vorjahr beendete „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ noch Sean Connerys Leinwandkarriere, die Marvelsuperhelden Daredevil und Hulk wurden von Kritik und Zuschauern eher verhalten aufgenommen und über den ebenfalls 2004 erschienenen „Catwoman“ breiten wir lieber den Mantel des Schweigens aus. Regisseur und Drehbuchautor Guillermo del Toro 66 Millionen in die Hand zu drücken und ihn mal machen zu lassen, kann man deshalb durchaus als eine mutige Entscheidung bezeichnen... die sich für die Produzenten nicht ausgezahlt hat. „Hellboy“ war in seiner Kinoauswertung ein finanzieller Misserfolg, der sich erst im Heimkino einer gewissen Beliebtheit erfreuen konnte.
Trailer zu Hellboy
Dabei liegt die Attraktivität für die Produzenten auf der Hand: del Toros Film gibt sich vordergründig als Melange aus den (semi-)aktuellen Erfolgen wie „Men in Black“ oder „X-Men“, angereichert mit der popkulturellen Hausnummer „Jäger des verlorenen Schatzes“, del Toro selbst war spätestens seit „Blade 2“ groß im Kommen und die Vorlage von Mike Mignola hatte (und hat) eine kultgleiche Anhängerschaft. Doch Guillermo del Toro wäre nicht Guillermo del Toro, wenn er sich damit zufriedengegeben hätte, einen bloßen Abklatsch in die Kinos zu bringen. Bei genauerem Blick enthüllt „Hellboy“ sich nämlich als ein vergleichsweise komplexer Film, der die großen Referenzwerke nur als Sprungbrett nutzt, um sich nicht nur kritisch mit den Vorbildern auseinanderzusetzen, sondern auch noch eigene Fragen zu stellen, eigene Themen zu bearbeiten.
Wie so oft werden die Themen um ein großes Hauptthema angeordnet. Um den Film zu entschlüsseln, ist deswegen folglich wichtig, zu erfassen, was denn dieses Thema ist. Zu Anfang stellt Professor Bruttenholm eine Frage, die uns in die richtige Richtung lenken könnte: „Was macht einen Mann zu einem Mann?“ Nun dürfen wir diese Frage nicht zu wörtlich nehmen, denn auch wenn Hellboy raucht und trinkt, dass selbst Clint Eastwood ihm raten würde, auf seine Gesundheit zu achten, geht es nicht, zumindest nicht direkt, um Männlichkeitsbilder, sondern darum, was den Menschen zum Menschen macht. Ist es Schicksal? Ist es sein Umfeld? Ist es Natur? Oder doch Erziehung? Denn über Hellboy hängt nicht nur die Frage nach seiner eigenen Herkunft und seinem Zweck, sondern auch eine Prophezeiung, die ihn zum Werkzeug der Apokalypse erklärt.
Und hier bietet sich der Blick auf die Figuren um „Red“ an. Da gibt es zum Beispiel die beiden Väter, nämlich Bruttenholm und Rasputin, und ihre verschiedenen Erziehungsstile. Bruttenholm ist der strenge Vater, der seinen Sohn beschützen will und ihm deswegen einige Regeln, Red hat rein technisch betrachtet den gesamten Film über Hausarrest, auferlegt und ihn deswegen von der Welt isoliert. Am Schönsten wird der Konflikt, der dadurch entsteht, mit einem simplen Bild: Hellboy hat sich mal wieder über seinen Hausarrest hinweggesetzt, der Professor regt sich auf, del Toro schneidet zu Liz und Hellboy, die von mit Plastikbeuteln überzogenen Bäumen umringt sind. Der Zuschauer sieht hier den Konflikt zwischen natürlichem Wachstum und dem einengendem Schutz anschaulich und versteht ihn, ohne dass der Film ihn wirklich aussprechen müsste. Auf der anderen Seite steht Rasputin, der abwesende Vater. Dem „Mad Monk“ könnte es nicht egaler sein, was Hellboy während seiner Abwesenheit anstellt, Hauptsache sein Sohn spurt, wenn er es will. Dabei ist Rasputin die Figur, die im Hintergrund agiert, die die Figuren auf dem Schachbrett anordnet, um im geeigneten Moment zum vernichtenden Angriff überzugehen. Letztendlich entpuppt sich der abwesende Vater so auch als tyrannischer als sein überforsorglicher Gegenpart.
Rasputin und die Prophezeiung finden dann auch auf visueller Ebene ihren Ausdruck, indem del Toro die Bilder mit Zahnrädern, Uhren und dergleichen anreichert. Das ist nämlich das Ding mit dem Schicksal: es funktioniert nur, wenn alle Zähne ineinandergreifen. So ergibt es auch Sinn, dass der Charakter, der sich selbst wie eine Uhr aufzieht, am Ende doch nur eine Puppe ist. Denn dem Schicksal kommt eine Kleinigkeit immer wieder in die Quere: der freie Wille. Und der ist es auch, der einen Mann zum Mann, den Menschen zum Menschen macht. Nahezu nebenher entlarvt del Toro dann das Schicksal als dem Reich angehörig, dem der menschliche Wille nichts mehr anhaben kann, nämlich der Vergangenheit. Nehmen wir alles, was bis jetzt passiert ist, als nötig dafür an, dass wir uns jetzt an diesem Punkt in der Zeit, bei dieser Handlung befinden, ist das unser Schicksal. (Ja, liebe und geehrte Leser, es ist euer Schicksal, bis hierhin gelesen zu haben.) Denn um dort anzukommen, musste alles bis jetzt genau so geschehen, wie es geschehen ist. Es steht uns aber frei, den nächsten Moment zu gestalten, wie wir es wollen. Ich könnte aufhören zu schreiben, ihr könntet aufhören zu lesen (wenn ihr weiter lest, schreib ich das hier auch zu Ende. Versprochen!) Wie Red sich entscheiden wird, das steht am Ende offen, während sein aquatischer Freund Abe in der Rückbetrachtung einen Museumsüberfall, und damit das Schicksal der Wachmänner, rekonstruieren konnte. Liegt doch auf der Hand, oder?
Kommen wir noch einmal auf den Konflikt zwischen Natur und Erziehung zurück. Wie bereits angedeutet, kann man „Hellboy“ als Antwort auf einige vorangegangene Blockbuster verstehen. Wie der Mexikaner del Toro zu „Men in Black“ (und vor allem zu dessen Anfangssequenz) steht, lässt sich nicht abschließend sagen, aber „Hellboy“ legt zumindest einen Schluss nahe. Wie die Inhaltsangabe bereits vermuten lässt, haben wir mit Agent Myers einen Charakter, der sich zu Will Smiths Agent J gar nicht so unähnlich verhält. Klar, Rupert Evans hat weder den Witz noch das Charisma, während Will Smith beides aus jeder Pore tropft, aber ihre Funktion ist recht ähnlich. Sie sollen den Zuschauer an die Hand nehmen, seine Reaktion auf den Wahnsinn um ihn herum, soll auch unsere Reaktion sein. So zumindest zuerst. Denn del Toro belässt es nicht dabei, er wechselt nämlich den vermeintlichen Hauptcharakter bei der ersten Gelegenheit aus, um uns an Hellboys Reise teilhaben zu lassen. Warum? Nun, ein Erklärungsansatz könnte sein, dass del Toro nicht ganz so reaktionär ist, wie das Team hinter „Men in Black“. Wo dieser Film Einwanderer entmenschlicht, wir dürfen nicht vergessen, der Bösewicht ist ein „Alien“ im doppelten Wortsinne und dazu auch noch eine Schabe in Menschengestalt, nimmt del Toro den wohl größten Bösewicht der westlichen Kultur, nämlich den Teufel, und dreht ihn einfach um, humanisiert ihn, statt ihm die Menschlichkeit abzuerkennen.
Generell finden sich in „Hellboy“ immer wieder umgedrehte Symbole. Sei es Abe Sapien, der wesentlich friedlicher als sein Gegenstück, die Creature from the Black Lagoon, daherkommt (und mit einem vermenschlichten Fischmann als Hauptfigur ließe sich doch bestimmt auch ein Film drehen – ruft mal wer del Toro an? Der wäre da der richtige Mann für...), oder der komplett auf den Kopf gestellte Cthulhu-Mythos. Die Ogdru Jahad sind eine offensichtliche Annäherung an Lovecrafts Große Alten, die für Lovecraft Ausdruck seiner Weltsicht waren. Denn Lovecraft war, wie die meisten Rassisten, womit sich der Kreis zu den Nazis im Film schließt, besessen von der Idee eines reinen Blutes. In seinen Geschichten finden sich deshalb auch immer wieder gemischtrassige Wesen, von denen eine Bedrohung für seine weißen Helden aus Neueungland ausgeht. Für ihn waren diese Wesen eine Bedrohung für die „natürlichen“ Ordnung, für die Vorherrschaft des weißen Mannes. Del Toro ändert dies, indem er die Ogdru Jahad zu Gottheiten von reinem, blauen Blute macht, die es zu überwinden gilt. Am Ende sind diejenigen das Böse, die immer wieder an die „wahre“ Natur appellieren, die aber eigentlich nur ihre starre Weltordnung durchsetzen wollen.
Gibt es an „Hellboy“ denn auch was auszusetzen? Ja, aber nicht viel. Der Anfang ist dramaturgisch etwas holprig, auf Hellboys Geburt und Rasputins vermeintlichen Tod folgt nahezu auf der Stelle Rasputins Wiedergeburt. Das sing Szenen, die man normalerweise etwas weiter auseinander stattfinden lassen würde, um dem Ganzen ein bisschen Luft zum Atmen zu geben. Schlimmer ist da wohl, dass das Liebesdreieck zwischen Liz, Red und Myers unterentwickelt bleibt. Denn der Film ist gerade in der ersten Hälfte überladen, den Charakterbeziehungen wird wegen ihrer schieren Masse gerade genug Zeit gelassen, um sie zu etablieren. Wohlwollend könnte man das überambitioniert bezeichnen, andere könnten das als gerade mal funktional ansehen. Damit wären aber auch alle wesentlichen Kritikpunkte abgehakt. Dass ein Film, der bereits damals nicht besonders teuer war, 15 Jahre später technisch nicht mehr ganz mithalten kann, dürfte wohl auf der Hand liegen, ist aber auch zu verschmerzen, gerade weil del Toro eine angemessene Mischung aus praktischen Effekten und Computeranimation einsetzt. Zusätzlich setzt del Toro gerade im ersten Akt darauf, den Zuschauer mit einigen atmosphärischen Spielereien in seine Welt zu ziehen, so dass die Schwächen weniger wiegen.
„Hellboy“ ist die Art Blockbusterkino, die nur unregelmäßig vorkommt: gleichermaßen ambitioniert zu Größerem, aber nie das Publikum aus dem Blick lassend, stellt er Schicksal und Selbstbestimmung gegenüber. Dass Hellboy letztere wählen würde, ist kaum überraschend: er mag zwar die „Right Hand of Doom“ haben, aber jeder weiß doch, dass der Teufel eigentlich ein Freund des Pfades der linken Hand ist...