Bewertung: 4 / 5
Im Kino gesehen (Argento Cut).
Wenn ich alle Zombiefilme und Zombieserien Revue passieren lasse, die ich bisher gesehen habe, dann haben diese unabhängig von ihren sonstigen Qualitäten und Inhalten eines gemeinsam: Die Gore-Effekte empfand ich nur in den seltensten Fällen als verstörend oder furchterregend. Das änderte sich gestern, erstaunlich bei einem Film aus dem Jahr 1978. Zum einen begründet sich das wohl dadurch, dass Romero und SFX-Künstler Savini hier vor nichts zurückschrecken, zum Anderen steht der naturalistisch-viehische Gore im Kontrast zum unglaubwürdigen und billigen Gesichts-Make-Up der Zombies, was den Effekt des Gores womöglich nochmal verstärkt hat.
Ohnehin spingt "Dawn of the Dead" dem Zuschauer direkt mit dem Arsch ins Gesicht, indem der Film mit einer chaotischen TV-Sendung und einem brutalen Polizeiübergriff auf der Schwelle des gesellschaftlichen Zusammenbruchs einleitet. Die Angst regiert, die Regierung ist überfordert. Wichtige Informationen zum Wesen und zur Bekämpfung der Virus-Zombie-Pandemie wurden bewusst und zu lange zurückgehalten, gleichzeitig zeigt sich die Bevölkerung teilweise uneinsichtig ob der getroffenen Schutz- und Eindämmungsmaßnahmen, worauf Regierung und Polizei/Militär entsprechend drastisch reagieren. Über allem schwebt die humanistische Frage, ob es sich bei den Zombies noch um Menschen handelt und ob man diese einfach umbringen darf. Anstatt zusammenzuarbeiten und die Einheit zu bekräftigen, zerfällt die Gesellschaft in Einzelteile. Nicht nur erweckt dieses apokalyptisch energetische Intro den Eindruck einer zeitlich verfrühten Adaption des ersten Teils des King-Romans "The Stand" (erstaunlicherweise zählt in beiden Werken auch eine schwangere Frau namens Fran zu den Hauptcharakteren), aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie wirkt das Intro erst recht verstörend und creepy. Man erkennt bezogen auf systemische und menschliche Verhaltungsmuster unweigerlich Parallelen zur aktuellen Zeit, die man ohne Corona ganz anders oder gar nicht wahrnehmen würde.
Betrachtet man den historischen Kontext der Entstehungszeit, darüberhinaus eventuell noch mit einem Blick auf Romeros "Night of the Living Dead" von 1968, lassen sich hier leicht Parallelen zur Bürgerrechtsbewegung und zum Vietnamkrieg finden, in diesem Momenten entpuppt sich "Dawn of the Dead" als zynische Satire auf die US-Gesellschaft. Der gewalttätige Polizeiapparat geht mörderlisch gegen die Menschen und Zombies wie gegen systemgefährdende Aufständische vor, teilweise treffen sich Polizei, Militär und Zivilisten gar zum vergnüglichen Töten von Zombies, vogelfrei deklariert, einer fremdländischen Bedrohung oder Untermenschen gleichkommend. Des weiteren entbrennt analog zum Vietnamkrieg eine Grundsatzdiskussion über den Umgang mit den Zombies.
Sobald sich "Dawn of the Dead" dem Einkaufszentrum als Setting zuwendet, konzentriert sich Romero auf eine ausgefeilte Kritik am Materialismus, die über reine Konsumkritik hinausgeht. Die Zombies kehren wegen bruchstückhaften Erinnerungen an ihr früheres Leben in das Einkaufszentrum zurück (die Anhäufungen und Tumulte weisen frappierende Ähnlichkeiten zu realen Einkaufsereignissen auf), zu Beginn bedienen sich auch die menschlichen Protagonisten am reichlichen und frei verfügbaren Angebot und leben ein Leben im Luxus. Die Identifikation mit den Waren und dem Materiellen reicht sogar soweit, dass sich die Überlebende Fran wie eine Schaufensterpuppe kleidet und schminkt, durch mehrere Schnitte von den Überlebenden hin zu den Schaufensterpuppen bekräfigt Romero diese Identifikation. Der Luxus vermag es jedoch nur kurzfristig, von der eigenen Tristesse und dem weltlichen Elend abzulenken, und führt letztendich keine Veränderung des Wohlbefindens herbei. Nichtsdestotrotz verteidigen die Protagonisten die Waren und ihrem im Grunde wertlosen Besitz im letzten Drittel bis auf den Tod, nicht etwa gegen die Zombies, sondern gegen eine andere Menschengruppe. Anstatt sich zusammenzutun und nach Lösungsansätzen des gemeinsamen (Über)Lebens zu suchen, werden die Menschen weiterhin vom materiellen Besitz,- Herrschafts- und Dominanzanspruch gelenkt. Aus den Anfängen der Pandemie wurden keine Lehren gezogen.
"Wenn die Toten auferstehen, dann müssen wir das Morden beenden, sonst werden wir wie sie."
Der Argento-Cut soll im Gegensatz zum 20 Minuten längeren Romero-Cut den Fokus mehr auf Exploitation und Action legen und in Kombination mit dem Goblin-Soundtrack ein temporeicheres und adrenalingeladeneres Erlebnis kreieren. Das kann ich klar bestätigen, zumindest bezogen auf die erste Filmhälfte, danach flacht der Argento-Cut atmosphärisch merklich ab. Eine Laufzeit von 120-Minuten für einen reinen Exploitation-Genrefilm erscheint mir nicht allzu sinnvoll, den hätte man meiner Meinung nach knackiger und dichter schneiden können/sollen.