In Zeiten des Widerspruchs
Die heutige Welt ist davon besessen, Antworten auf vergangene Verfehlungen zu geben und sich bohrende Fragen zu stellen, wie es so weit kommen konnte. Gebeutelt von existenzbedrohenden Krisen, trister Müdigkeit, schäumender Wut und nicht zuletzt lähmender Angst, droht Oppenheimer den Finger in jene schmerzhafte Wunde zu legen. Die Bearbeitung eines solch globalen Traumas rüttelt unweigerlich auf, denn es ist eine Geschichte, die gleichermaßen die unbändige Schaffenskraft wie auch die zerstörerische Natur des Menschen unmittelbar vor Augen zu führen imstande ist.
Der Weg zur Atombombe und die verheerende Detonation gleich zwei solcher Teufelserfindungen ist ein Phänomen, das größer als das wahre Leben scheint, und dennoch hat es sich geschichtlich so zugetragen, dass Robert J. Oppenheimer gemeinsam mit seinem Forschungsstab genau diese unvorstellbare Deus Ex Machina konstruieren konnte. Im sicheren Hort des Kinosaals blicken wir nur zu gern in bildgewaltige Abgründe und zeigen uns von solcherlei Panoramen des Schreckens fasziniert.
Okay, dann wollen wir mal: Barbenheimer! ???? pic.twitter.com/6Z8uwBaRLS
— Adrian Gmelch (@gme_adrian) July 5, 2023
Auf der anderen Seite steht da aber der Wunsch nach einem Platz, den wir mit den Begriffen Retromanie und Nostalgie umschreiben können. Dabei geht es vornehmlich darum, ein stimmiges Idealbild einer vergangenen Epoche zu entwerfen, wobei potenzielle Leerstellen bar der eigenen Fantasie überflügelt werden. Es geht also gerade nicht darum, ein realistisches Bild einer bestimmten Zeit zu skizzieren, sondern einen Lifestyle über die Vorstellung von dieser zu destillieren.
Die 90er zeichnen sich in der retrospektiv verklärten Sicht unter anderem durch fetzige Technomusik, Tamagotchis, Sitcoms (etwa Friends oder Der Prinz von Bel-Air), Boy- und Girlgroups und jede Menge unschuldigen Spaß aus. Die Rückbesinnung auf diese unschuldige Ära hat Hochkonjunktur, was unter anderem auch in der Mode oder der Musik nachzuweisen ist. Gedanken an den einstigen Kalten Krieg - ein Thema das im Gegenzug bei Oppenheimer mit Sicherheit als bedrohlicher Schatten angedeutet wird - schienen längst begraben.
Sinnbildlich für die Vorstellung von jener Ära könnte man den ohrenbetäubenden und völlig überdrehten Song "Barbie Girl" von Aqua verstehen - schrill, bunt, laut und sich niemals für einen pompösen Auftritt zu schade.
Im Falle von Barbie geht es also gewiss auch um das Haushalten mit einem bestimmten Lebensgefühl, das in Anbetracht der andauernden kollektiven Belastungen längst verschüttet schien. Greta Gerwigs neuester Streich scheint eine unschuldige und gleichermaßen pompöse Welt zu vermitteln, in der man sich gern für rund zwei Stunden verliert. Das machen zumindest die in den Trailern zum Ausdruck gelangten Musical-Nummern deutlich, die ein buntes Arrangement aus Bildern und Tönen repräsentieren.
Auch darf man nicht vergessen, dass ein augenzwinkernder Film wie Barbie auch einen ironisierten Camp-Charakter mit sich bringt, denn die Puppe ist einerseits Symbol für den repressiven und einseitigen Umgang mit Mädchen und Frauen und andererseits ein Inspirationsquell dafür, dass man der Welt einen weiblichen Stempel aufdrücken kann und sich auch als weiblich gelesene Person durch nichts bremsen lassen sollte. Hierbei geht es gewiss auch um die Veranschaulichung von "idealen" Lebenswegen anhand statusbezogener Rollenmodelle, die in Form der Dualität von Traumfrau Barbie und Traummann Ken in ihrer zuckersüßen und aufregenden Welt anschaulich gemacht werden.
Das Puppenspiel hat etwas Transformatives an sich, denn einerseits kann man die Manifestation althergebrachter Rollenbilder damit assoziieren und andererseits kann es ein probates Werkzeug sein, um sich den Stereotypen durch Variation des geläufigen Musters um "Vater, Mutter, Kind" zu entledigen. Womöglich spielt Barbie deshalb auch mit Fragen nach der Hoffnung einer Emanzipation von langwierig tradierten Konventionen, da sie sich für das Individuum als Zwang erweisen können.
Barbenheimer poster art by @ThatTallGinger pic.twitter.com/tXUAdxm6qb
— DiscussingFilm (@DiscussingFilm) July 7, 2023
Das Phänomen "Barbenheimer" kann damit sinnbildlich für den Widerstreit von grausamer Vergangenheit und wankelmütiger Gegenwart verstanden werden. Wo alte Weiße Männer einst die Geschicke der Welt zu lenken vermochten, drücken nun zusehends jüngere, vitalere und um ein Vielfaches buntere Gesellschaftsschichten der Welt ihren Stempel auf. Ein solcher Kampf der Generationen und Geisteshaltungen passt bestens zum oftmals totgesagten und immer wieder doch lebendigen Kinoort: Oppenheimer und Barbie sind demnach zwei Seiten einer Medaille.
Dennoch schwingt selbstredend auch etwas Verharmlosendes bei der Kopplung eines internationalen Traumas an ein beliebtes Plastikspielzeug mit. Im Sinne der Internetkultur warten Menschen oftmals mit eigenen Regeln auf, wobei sie die Grenzen des guten Geschmacks verschieben. Uns leuchtet aber diese Form der verspielten Verdrängung durchaus ein, schließlich handelt es sich um eines der düstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte und viele Menschen haben in diesen Zeiten Angst vor weiteren Konflikten, die das Leben auf der Erde unmöglich machen.
Cillian Murphy says ‘OPPENHEIMER’ is a model example of a film that allows audiences “to escape from life but also to learn about life.” pic.twitter.com/TMNAQsZqOP
— DiscussingFilm (@DiscussingFilm) July 8, 2023
Der Kinobesuch von Oppenheimer wird außerdem mit Sicherheit einen gewissen Effekt auf die Personen ausüben, was die Drastik der damaligen Situation anbelangt. Daher könnte man zu dem Schluss gelangen, dass jegliche Aufmerksamkeit für diesen Beitrag von Christopher Nolan willkommen ist.
this is so wrong pic.twitter.com/NETxaljKJm
— kenzie xcx (@kenzvanunu) July 15, 2023
gonna drop this one here too pic.twitter.com/eIrIxmaq7h
— jams (@jam_izzle) July 15, 2023
— Shadow Knight (@shadowknightdk) July 15, 2023
Looking camp right in the eye pic.twitter.com/nt1WfPFCZH
— Noire ???? (@macabrenoire) July 16, 2023
— Shadow Knight (@shadowknightdk) July 15, 2023
Barbenheimer x F1 pic.twitter.com/ctdBP93ot2
— MARL (@FormuIaUno) July 14, 2023
This might be the best #Barbenheimer edit I've seen. pic.twitter.com/0BhzpL2xeQ
— paul atreides (@thomashelby_obe) July 9, 2023