Bewertung: 5 / 5
Oppenheimer ist Christopher Nolans neuester Streich. Als passionierter Filmemacher betonte er im Vorfeld bereits, dass der Film nicht nur auf echtem Filmmaterial gedreht werden würde, sondern auch zugunsten praktischer Effekte auf CGI verzichten würde. Entsprechend ist für die handwerkliche Seite bereits gesorgt – doch kann der Film auch ansonsten überzeugen, oder war es am Ende sogar falsch, sich der Möglichkeiten der Moderne nicht zu bedienen? Mehr dazu im Folgenden.
Kritik:
Trailer zu Oppenheimer
Nolan ist ein Regisseur, der in der modernen Welt des Kinos ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt. Ähnlich Tarantino ist er regelrecht cinephil und zeichnet sich vor allem für seine Liebe zu handgemachten Filmen aus. Dazu umgibt er sich nicht zuletzt mit den besten Handwerkern der Branche. Hoyte van Hoytema ist auch hier (nachdem er bereits Interstellar, Dunkirk und Tenet bebildern durfte) wieder für die Cinematografie verantwortlich und so langsam wird es Zeit, diesem Mann seinen Oscar zu geben. Auf den Spuren von Größen wie Roger Deakins gelingt es van Hoytema ein ums andere Mal eine Magie auf die Leinwand zu bannen, die ihresgleichen sucht.
Visuell kann der Film mit einem Wechselspiel aus Schwarz-Weiß-Sequenzen, entsättigten Farben und fast schon psychedelisch anmutenden Effektszenen, wann immer Oppenheimer seine Visionen des Atoms hat, auftrumpfen. Optisch wird es wahrlich niemals langweilig auf der Leinwand. Dabei zeigt Nolan oftmals Diskussionen, Dialoge, Verhöre – Sequenzen ohne die ganz großen Vistas – aber stets liegt ein Knistern in der Luft. Szene um Szene wird eine manische Energie aufgebaut, die die zunehmende Besessenheit ihrer Hauptfigur vom Atom spiegelt.
Cillian Murphy zeigt hier erneut, dass er zu den besten Darstellern seiner Generation zählt und kann in seiner ersten großen Hauptrolle unter Nolan vollauf überzeugen. Jeder Moment gehört ihm, jede Szene dreht sich um diesen Mann, der im Zentrum des Manhattan Project stand. Dabei fängt alles klein und schier harmlos an – Die Wellen, die von Wassertropfen in einer Pfütze geworfen werden, verbinden sich in seinem Kopf zu einem Bild, welches ihn nicht mehr loslassen soll. Diese Idee von irrsinnigen Energien im atomaren Raum entwickelt sich in ihm immer weiter, bis sie von einer Passion zu etwas wird, was unausweichlich scheint.
Das Rennen um die erste Atomwaffe wirkt hier durch Nolans Strukturierung der Geschichte stellenweise fast wie ein freundlicher Wettstreit unter Kollegen. Wenn sich die Wissenschaftler gemeinsam zum Brainstorming treffen und Aufgaben verteilt werden wie bei einer Gruppenarbeit in der Schule, kommt man manchmal nicht umhin, ob der Absurdität dieser Szenen zu schmunzeln. Und doch: Oppenheimer betont immer wieder, dass sobald ein Gewinner feststeht, damit alle Kriege vielleicht auf ewig beendet werden würden. Diese fast unschuldige Naivität wird im Film an verschiedenen Stellen thematisiert, einmal sogar ganz klar und in sein Gesicht ausgesprochen – doch die Realität holt den Idealisten am Ende ein.
Denn so sehr die Menschheit ihn braucht, als es darum geht, diese Hürde der Wissenschaft zu nehmen – so unwichtig, beinahe unerwüscht, wirkt er im Nachgang. In blauäugiger Schuljungenmanier versucht er seinen Einfluss geltend zu machen, die USA und Russland zur Kooperation, statt zum Wettrüsten, zu animieren – den Geist verzweifelt wieder in die Flasche zurückzudrücken, aus der er entwich. Doch die Dankbarkeit beschränkt sich am Ende auf unaufrichtige Händedrücke, wohlmeinendes Schulterklopfen und wertlose Medaillen.
Trotzdem schiebt Nolan hier niemandem einen klaren Buhmann zu – Oppenheimer glaubte an den Effekt seiner Forschung, die Menschheit aufzuwecken und ihnen mit der Atombombe das Ende aller Kriege zu bringen. Doch als er sich mit der Realität in Form von Hiroshima und Nagasaki konfrontiert sieht, löst sich all diese Naivität in einem Aschesturm auf. Dabei verzichtet der Regisseur auf allzu radikale Bilder – es wird kein brennender Kindergarten gezeigt, vor dem verstrahlte Leichen von einer Druckwelle zerfetzt werden – einzig im Blick durch Oppenheimers Augen spiegelt sich der Schrecken, den er entfesselte.
Diese subtile Herangehensweise wird vielen nicht passen – ich empfand sie als zutreffend und auf Linie mit der Figur, die uns der Film bis dahin vermitteln wollte. Aus einem „jemand wird es tun“ wird am Ende der Realitätscheck und ein resigniertes „Was habe ich getan?“. Trotzdem wird betont, dass Oppenheimer zu keinem Zeitpunkt die Schuld endgültig bei sich und seinem Team sucht. Er sieht, welchen Effekt seine Forschung hatte, bewegt sich jedoch bewusst außerhalb der moralischen Fragestellung – zumindest bis er direkt darauf angesprochen wird.
Nichts in diesem Film entzieht sich dem Sog, der durch die Bilder erzeugt wird – doch die Tiefe, den Widerhall, erlangen sie auch und vor allem durch Ludwig Göranssons beinahe elegischen Score. Ein Feelgood-Film ist Oppenheimer weißgott nicht. Und trotzdem hat er seine wenigen Momente trockenen Humors, seine Elemente hoffnungsvollen Aufblickens. Doch am Ende ist es die Geschichte des „Wichtigsten Mannes der Menschheitsgeschichte“, der sich selbst schlussendlich darauf reduziert sieht, was mit seiner Idee angerichtet wurde.
Es ist bezeichnend, dass die Realisation in dem Moment stattfindet, als er nach außen hin seine Errungenschaft feiert. Die stetig lauter werdende Überlagerung der Soundkulisse bis an den Punkt, an dem er sich selbst nicht mehr über das Herannahen eines metaphorischen Zuges hinweg hören kann, wirkt mitunter etwas verstörend. Doch letztlich trifft es den Kern dessen, was der Film offenbar erzählen möchte: Nicht ein, mit erhobenem Zeigefinger erzähltes, Gleichnis davon, wie der Mensch der Ingenieur seines eigenen Untergangs ist – sondern die Geschichte eines Mannes, der dachte er tut das für die Menschheit beste.
Und damit zeigt er auf effektive Weise einen der größten Irrtümer unserer Geschichte auf, der persönlicher nicht spürbar gemacht werden könnte: Die Hoffnung, dass Menschen imstande wären, sich weiterzuentwickeln – besser zu sein.
Dabei habe ich jetzt noch nichts zu all den anderen superben Darstellern gesagt (Robert Downey Jr. explodiert hier regelrecht aus seinem Iron Man-Autopiloten heraus auf die Leinwand), oder dazu wie der Film mit der Kommunismus-Thematik umgeht, wie er Exil-Juden thematisiert oder den ersten erfolgreichen Atombomben-Test inszeniert. Das würde mich grade auch zu weit führen. Für mich war vor allem eines wichtig: Herauszustellen, dass der Film „Oppenheimer“ heißt und nicht „How to Dismantle an Atomic Bomb“. Es ist die persönliche Geschichte von Neugier, Naivität und dem unendlich hohen Preis dafür.
Fazit:
Oppenheimer ist erneut ein atemberaubendes Kinoerlebnis, das seine 180 Minuten Laufzeit nie spüren lässt und mit einem superben Cast, brillianter Cinematografie, bärenstarker Regie und einem hypnotischen Score schlicht mitreißt. Es wird manchem sauer aufstoßen, dass man sich hier weniger in dem Versuch ergeht, ein Mahnmal gegen Atomwaffen aufzubauen – aber schlussendlich soll es um die Figur, den Mann Oppenheimer gehen und um das, was er getan hat. Bezeichnenderweise darf die Schuldfrage in der Realität wie im Film von anderen erörtert werden – stets mit einem Ausgang, auf den J. Robert Oppenheimer ohnehin nie einen Einfluss hatte.
Von mir gibt’s 10/10 Punkte bzw. 5/5 Hüte und eine klare Kinoempfehlung für Nolans neuesten Streich.
Er wird nicht jedem gefallen – aber grade Fans handgemachten Kinos werden hier auf allen Ebenen regelrecht verwöhnt und das allein ist die 3 Stunden Lebenszeit mehr als wert.