Bewertung: 4.5 / 5
2019 neigt sich mit Riesenschritten dem Ende entgegen und urplötzlich spriessen die Hochkaräter dieses ansonsten recht mittelmäßigen Jahres regelrecht aus dem Boden. Nur soviel: The Hype is real! Parasite ist ohne jeden Zweifel und mit einer formalen Leichtigkeit einer der besten Filme des Jahres.
Erzählt die Geschichte einer Familie, die man als sozialen Bodensatz bezeichnen könnte, der es gelingt, sich bei einer reichen Familie irgendwie gefühlt parasitär einzunisten, aber sich dann schließlich in der zweiten Hälfte mit bitterer Konsequenz dann so langsam entfaltet, was es mit dem Titel des Filmes tatsächlich auf sich hat.
Trailer zu Parasite
Bong war schon immer ein feier Beobachter sozialer Strukturen und fragiler Machtstrukturen. Das ging schon bei memories of Murder los, wo er Land und Stadt, Militärdiktatur gegen eine zivilisiertere Gesellschaftsform antreten liess, nur um die Protagonisten im Laufe der Handlung durch die Mangel zu drehen. Mother, Host und Okja bildeten da keine Ausnahme. Der Film, wo er das Arm-Reich-Gefälle und die gegenseitigen Abhängigkeiten in einem scheinbar einfachen Sci-Fi-Actioner auf die bitterböse Spitze trieb, war der in meinen Augen absolute Kracher Snowpiercer.
Und Parasite? Parasite ist im Prinzip die ruhige, elegante, weniger rabiate, komplexere, mehr mit Grautönen arbeitende, einfach reifere Abhandlung desselben Themas - ohne erhobenene Zeigefinger und ohne die typische Romantisierung des Armen.
Das ist zuweilen bitterböse, das ist bisweilen sarkastisch, das ist immer extrem elegant und erhaben, das ist aber immer sehr menschlich, vor allem wenn die Entmenschlichung des Individuums in dieser Gesellschaftsform mehr oder weniger subtil angeklagt wird.
Bong kann sich auf alle seine Darsteller verlassen und hat mit Song Kang-Ho einen der größten koreanischen Charakterdarsteller mit an Bord, mit dem er bisher fast immer kooperiert hat (ein Darsteller, der sonst auch die mittelmäßigsten Filme durch seine schiere Präsenz aufwerten kann, ein Jahrhunderttalent!). Und Bong kennt sich mit den Filmen aus, ja fast besser als ein gewisser Tarantino. Denn wo Tarantino fleissig ikonische Bilder zitiert und für das Original gehalten wird (John Travoltas Tanz in Pulp Fiction, Das Blut aus der weissen Rose an Dicaprios Brust in Django Unchained, der Standoff in reservoir Dogs um nur ein paar bekanntere Beispiele zu nennen), benutzt Bong die Ideen seiner Vorlgane, um sie in seiner Geschichte auch organisch einzubetten (Es kommt nicht von ungefähr, dass das Ende thematisch ein bißchen an Der Zug des Lebens erinnern mag!).
Parasite ist ein überragender Film, der im irgendwie mittelmäßig anmutenden Kinojahr 2019 tatsächlich als einer der besten Filme des Jahres gelten muss. Dabei sind solche illustren Namen wie Marriage Story und Irishman, welche zwar auch absolut überragend sind für 2019, aber insgesamt doch ein bißchen - für mich zumindest - hinter den Erwartungen blieben. Parasite stellt diese Filme schlicht in den Schatten.
Letztlich noch - nur der Vollständigkeit halber - eine absolute Einordnung innerhalb der koreanischen und internationalen Filmgeschichte dieses Films:
WEr meine Reviews kennt, weiss dass ich ein Verfechter des koreanischen Kinos seit dem Anfang des Jahrtausends bin, und dass ich der Meinung bin, dass zwischen 2002 und etwa 2013 die höchste Dichte an 9-10 Punkte Filmen aus Südkorea kam. Da sind absolute Kracher dabei in so kurzer Abfolge, dass einem Angst und Bange werden könnte. Leider hat sich die Kinolandschaft in Südkorea mittlerweile sehr stark zum Nachteil verändert, und richtige Kracher sind da mittlerweile gefühlt immer stärker eine Ausnahme. Klar gibt es immer wieder Ausreisser nach oben, aber es ist halt nicht mehr so rasch hintereinander.
Vor allem gab es da immer wieder Filmemacher, auch außerhalb eines Bong, die das Arm-Reich-Gefälle auf typisch koreanische Art kommentierten, und vor allem die intellektuelleren Filmemacher entzogen sich da zumeist der Romantisierung des Armen (siehe oben), vor allem Wook hatte da den einen oder anderen sehr garstigen Beitrag dazu parat, welche mir persönlich sehr bitter aufschlugen, gerade weil er in einem Beitrag den Armen als absolut Bösen darstellte, aber das ist eine andere Story. Was den Meisten dieser Filme gemein war, dass sie immer irgendwann recht deutlich zur Sache kamen (Inklusive Snowpiercer, der ja eine internationale Kooperation ist). Parasite ist und bleibt hier der deutlich reifere Ansatz, der lobenswerter Weise seinen Kurs beibehält.
Parasite fällt in die Kategorie der sehr guten und besten Filme aus Südkorea und das ohne irgendwann platt zu werden. Parasite ist aber keinesfalls ein Film, der die anderen südkoreanischen Reisser jener Zeit überragt, er fällt ziemlich gekonnt in die Mitte dieser Alltimeklassiker! Doch wer einen absolut überragenden und wirren Genrebastard zu diesem Thema sehen möchte (zugegebenermassen mit weniger Klasse, dafür aber sehr deutlicher ähnlicher, wenn nicht sogar noch bitterer Botschaft), bei dem ebenfalls bis zum ende nicht klar ist, wohin die reise gehen wird, und der teilweise alleine beim Zuschauen wehtut, dem empfehle ich Save the Green Planet (den ich übrigens mit 9 Punkten bewerten würde), auch den gibt es auf deutsch.
International müssen wir uns nichts vormachen, ist der Film natürlich auch überlegen.
9 Punkte