Bewertung: 4 / 5
Hier mal eine etwas andere Kritik zum Film. Ich denke es wurde schon sehr viel darüber gesprochen und diskutiert, weshalb ich eeher einen persönlichen Ansatz angehen wollte. Was bedeutet das Genre für mich, was bedeutet Joker für mich und wie wirkte sich dies auf meine Sichtung aus? Dazu will ich ganz klar davor warnen die Kritik vor der Sichtung zu lesen, denn es werden kleinere Spoiler folgen. Ihr seid also allesamt gewarnt.
Handlung
In einem Gotham der Aufruhr und Veränderung, wo sich die Bevölkerung immer mehr gegen die beherrschenden reichen Schichten auflehnt, versucht Arthur Fleck seinen Platz zu finden. In Behandlung bei einer Psychologin, geplagt mit neurologischen Störungen und wohnend bei seiner pflegebedürftigen Mutter will er eigentlich nur Stand-Up-Comedian werden. Doch die Gesellschaft ignoriert ihn, er scheint gefangen in einer Welt, die sich sich nicht für ihn interessiert. Doch dann trifft er eine Entscheidung mit Tragweite und aus Arthur Fleck wird nach und nach - der Joker!
Trailer zu Joker
Der Antagonist als Protagonist: Geschichtsstunde
Ein Held ist nur so gut wie sein Gegenspieler.
Diese These hört man immer wieder und gerade bei Superheldenfilmen wird die Charakterisierung, Motivation und Darstellung des Bösewichtes/Gegenspielers/Antagonisten genauso oft diskutiert wie die des strahlenden Helden. Oftmals fokussiert sich der Film auf den Helden, dabei kommt leider der Gegenspieler zu kurz (Problem bei vielen MCU-Filmen). In anderen Filmen stellte die Darstellung des Schurken gar den Helden in den Schatten (Spider-Man 2 oder Dark Knight). Alles in allem haben die meisten Superhelden-Filme etwas gemein: am Ende des Tages (und möge es auch vielleicht mehrere Filme dauern) gewinnt der Held.
Auch wenn die Superhelden unsere Herzen eroberten, so sind es doch die Gegenspieler, welche uns faszinieren. Gerade die Schurken-Gallery von DCs Batman oder Marvels Spider-Man haben mich ständig begleitet. Konnte man diese Gegner doch oftmals verstehen, sich in sie hinein versetzen oder gar mitfühlen - oder überhaupt nichts davon und sie nur so herrlich schön hassen. Vor allem auf den Joker trifft dies zu, der bereits in verschiedensten Interpretationen glänzen durfte und nun seinen eigenen Solo-Film serviert bekommt. Die Idee den Schurken in den Vordergrund zu stellen existiert dabei schon lange. Bekannt sind sicherlich die Pläne Sonys, den Schurken Spider-Mans mehr Raum zu geben und in Sinister Six sollten sie die Hauptrolle bekommen. Bis heute folgten nur Ideen wie Morbius oder Kraven oder halbgare Umsetzungen wie Venom. Aus Spideys Erzrivalen machte man kurzerhand einen Anti-Helden, was zwar comicgetreu ist, aber viel von der Dualität der Charaktere nahm. Der Antiheld ist dabei nichts neues in Superheldenfilmen: Electra, Catwoman, Punisher, Blade, Wolverine - in der Kinolandschaft wimmelte es bereits von Superhelden mit zweifelhaften Taten, doch der Schurke an sich, bekam nie seinen verdienten Platz.
Ausgerechnet DC lieferte nun aber einen Schurken-Film, der einen höheren Gewaltgrad versprach und sich von anderen Filmen komplett unterscheiden sollte. Ausgerechnet DC? Ja, wie oben beschrieben zwar ausgestattet mit ein paar der besten Schurken, versteifte man sich in den letzten Jahren zu sehr Marvel und das MCU zu kopieren. Es wurde bunter und fröhlicher, den düsteren oder gar realistischen Ton von Filme wie Watchmen, Dark Knight oder Batman v Superman ließ man aufgrund falscher Entschlüsse links liegen. Mit Joker kehrt man zu sich selbst zurück: eine realistische Umsetzung, kein CGI-Spektakel und eine komplexere Umsetzung, basierend auf der vielleicht komplexesten Figur der Comics.
Joker ohne Batman...?
Ich geb dann gerne zu, dass ich zweifelte. Denn wie schon bei Venom fürchtete ich mich davor, dass man entweder
1. Joker zu einem Helden macht, oder
2. er ohne seinen Gegenspieler blass bleibt.
Während Punkt 1 fraglich war aufgrund fehlender Vorbilder und einem Studio namens WB, welches scheinbar zu sehr auf die verschiedensten Meinungen und Bewegungen hört, war Punkt 2 fest verankert in der Figur an sich. Für mich persönlich ist der Joker immer die andere Seite der Medaille, ein Spiegelbild Batmans. Wie schon hervorragend in Nolans The Dark Knight umgesetzt, war der Held nur so gut wie sein Gegenspieler und nicht nur, dass die These bewiesen war, nein Heath Ledger stahl Batman im besagten Film die Show. Selbst der Animationsfilm The Batman Lego Movie lebte von dieser Dualität. Batman kann nicht ohne den Joker und Joker nicht ohne Batman leben. Wie sollte dies nun in einem Solofilm klappen?
So ganz klappte es nicht, wird Batmans Geschichte doch tatsächlich - und ich warne ein letztes Mal vor SPOILERN - in die Geschichte des Jokers integriert. So bekommen wir zum vierten Mal in 15 Jahren die Origin von Batman zu sehen, mehr noch, leider sind die Schicksale von Arthur und Bruce von Beginn an miteinander verworren, was mir schon bei Tim Burtons Meisterwerk Batman nie gefiel. Zwar ist vieles nicht wie es scheint und der Film kann hier überraschen und schocken zugleich, trotzdem wirkt es, als sei eine weitere Befürchtung wahr geworden.
Superheldenfilme sind vielseitig
Oftmals existiert die Vermutung: entweder man mag Superheldenfilme oder man mag sie nicht. Die MCU-Formel, kunterbunte CGI-Effekte, die seit der Antike bekannte Helden-Geschichte - die Aussage, dass alle Superheldenfilme sich ähneln, existiert seit langem. Doch immer wieder wird bewiesen, dass Superheldenfilme anders sein können. Vielseitigkeit (Black Panther, Wonder Woman, Shang-Chi, Captain Marvel), Genres (Western, Space-Opera, Agenten-Thriller, Heist-Movie, Abenteuerfilm,...) und unterschiedliche Zielgruppen sind nach einer kurzen monotonen Phase nun nicht mehr zu widerlegen. Besonders Fox tat sich mit Deadpool und Logan hervor und bot nach Jahren der Abstinzenz wieder R-Rated-Filme an. Ja sogar ein Horrorfilm sollte erscheinen. DC machte nun nicht nur den ersten echten Schurken-Film, sondern nutzte ein neues Genre: das Drama!
Joker ist somit kein typischer Superheldenfilm und damit einzigartig im Genre. Außer ich war am Träumen tauchte zu Beginn kein typisches DC-Banner auf, es wird auf Easter Eggs mehr oder weniger verzichtet und der Film endet nicht mit der Ankündigung von Teil 2-27. Nein, Joker fokussiert sich auf eine Figur: Arthur Fleck, welcher zu Joker wird. Überragend gespielt von Joaquin Phoenix, spielt dieser auch gewollt alle anderen Nebenrolle an die Wand. Die Nebenfiguren bleiben deshalb leider blass und haben wenig Charakterisierung. Doch umso mehr erfahren wir von Joker, dessen psychischen Störungen und wie er zu dem Serienkiller wurde, der später unser aller Lieblings-Schurke wirkt.
Meine Befürchtung konnte man damit aber nicht widerlegen: Der Titel Joker wurde marketingtechnisch überragend gewählt und hat eindeutig das Ziel, die Massen ins Kino zu locken. Denn entfernt man die Namen Gotham, Wayne und Joker, hat man immer noch den gleichen Film, allerdings würde niemand von einer Comic- oder gar Superheldenverfilmung sprechen. Es ist aber klar, dass ein Film namens "Fleck- The tragic Life of a lonely Clown" niemand vor den Ofen locken würde und so werden mit Joker gleich mehrere Leute angesprochen. In meinem Freundeskreis muss ich feststellen, dass fast Jeder den Film sah. Wird man sonst belächelt wenn man Filme des MCU oder DCEU anschaut, sind es genau diese Leute welche tatsächlich in eine nerdige Comicverfilmung reinrennen. Dies liegt eben daran, dass dieser Film anders ist und gott sei dank wird der Mut belohnt! Ist man ehrlich mit sich selbst, wäre diese verdiente Belohnung ohne den Zusatz "Joker" aber nicht möglich gewesen. Umso ärgerlicher erscheint es fast, dass man sich dann dem Franchise-Gedanke doch unterwirft und Batman so prominent in die Story miteinbaut. Denn dieser Film hätte auch locker auf eigenen Füßen stehen können.
Smile, because it confuses people
Dass Jokers anders ist, wird von der ersten Minute an klar. Wir verfolgen hier eine psychologisch gestörte, depressive Figur, welche versucht einen Platz in der verachtungswerten Gesellschaft zu finden. Muss man zu Beginn noch mehrfach Lachen, fragt man sich nach wenigen Minuten, ob dies noch angemessen ist. Immerhin verfolgen wir hier eine klar kranke Person. Aus dem Lachen der Zuschauer wird Mitleid, aus Mitleid langsam Unwohlsein und man stellt sich vor wenn man selbst einer solchen Person gegenüber stehen müsste. Das Wort "creepy" war es, welches meiner Begleitung nach dem Besuch entflutschte als ich fragte wie sie den Film empfand.
Joker ist somit eindeutig ein Drama, welches durch verschiedene bewusste und unbewusste Taten der Figur, zu einer gesellschaftlichen Satire wird. Zwar wird betont, dass es kein politisches Statement geben würde, doch genau dies wird vom Film dargestellt, denn eine andere Botschaft verweigert uns der Regisseur. Es fehlt wohl einfach an Hintergründen und das anfänglich kleine Feuer entflammt viel zu schnell und geht ins Chaos über, denn urplötzlich wird die Tat Flecks zu einer Bewegung in der Stadt, welche im Film mehrfach mit "Kill the Rich" beworben wird. Dem Drehbuch muss man vorwerfen, dass es die spannende Geschichte um die Gesellschaft Gothams doch zu wenig Platz einräumt, andererseits sorgt die Fokussierung auf Fleck dafür, dass man wie er selbst überrascht wird, dass diese Tat ein so wichtiger Meilenstein für die Stadt wird.
Problematisch ist dann jedoch, wenn der Film die Taten scheinbar nicht so tragisch sieht. Nicht nur, dass die Bevölkerung angestachelt wird, nein, durch die Hintergrundgeschichte erfahrne wir, dass der Täter ja eigentlich nichts dafür kann. Er ist psychologisch krank, braucht jemanden zu reden, nimmt Medikamente - er hat sogar ein schriftliches Attest dabei, welches seine Ticks erklärt. Zudem erfahren wir während der Handlung weitere erschütternde Geheimnisse. Diese versuchen zwar nicht unbedingt Mitleid und Erklärungen zu liefern, zu creepy ist es ja wie erwähnt, trotzdem wirkt dies einfach als Entschuldigung. Da fragt man sich wie ein Batman später mit dieser Figur umgehen wird. Nicht nur aufgrund des Altersunterschieds wäre dies ein mehr als unfairer Kampf - man bedenke nur wie manche Leute über Thor schimpften, als er den "armen" Thanos tötete...
All you need is one bad Day
So oder so ähnlich klingt eines der bekanntesten Zitate des Jokers aus dem preisgekrönten Comic "The killing Joke". Und nie war dieses Zitat so wahr wie in diesem Film. Denn die Probleme Gothams wirken so lange auf Arthur Fleck ein, bis dieser tatsächlichen einen schlechten Tag erwischt und damit zum bekanntesten Schurken der Stadt wird.
Oder doch nicht? Denn auch wenn die handlung scheinbar banal klingt, so gelingt es dem Regisseur sie fesselnd umzusetzen. Visionen und Wahnvorstellungen sind es, welche den Joker den gesamten Film über quälen und als Zuschauer fragt man sich: "Ist dies nun echt? Oder ist dies nur Schein?". Die Frage liefert der Film nicht wirklich und ohne die Aussagen der Macher zu kennen würde ich mal behaupten, dass alle Interpretationen möglich sind. Ist der gesamte Film nur ein Traum einer kranken Gestalt in einer Anstalt, welche möglicherweise zu viele Comics als Kind las? Oder sind die verschiedenen Ebenen die dann existieren würden und uns gezeigt werden dann nicht eher der Hinweis, dass der Großteil doch so passierte.
Letztendlich wird der Zuschauer mit diesen Fragen alleine gelassen, weshalb Joker auch in den zukünftigen Wochen ein Dauerthema bleiben wird.
Fazit
Bleiben wird auch das Gefühl, dass man einen andersartigen Film gesehen hat. Joker widerlegt die These, dass ein Held nur so gut ist wie sein Gegenspieler, da in dieser Geschichte jeder Dreck am Stecken hat. Das vermeintlich Gute existiert nicht oder wird entlarvt und dies konkret an der Figur des Thomas Wayne. Der Zuschauer bleibt nur das seltsame Gefühl, dass die Welt nicht schwarz und weiß ist, sondern dass es sehr viel Grautöne gibt.
Joker hat den Titel eines Superheldenfilms verpackt in einem Art-House-Werk, welcher natürlich darauf getrimmt ist, die Preise dieser Welt abzustauben. Doch man kann die Macher nur dafür loben, dass sie es nach den zahlreichen Fehlschlägen im Hause DC auch tatsächlich getan haben. Letztendlich kann der Film weniger als Superheldenfilm bewertet werden, sondern eher als Drama. Doch schon der Mut, das Alleinstellungsmerkmal des Films im Genre, sorgen für eine positive Bewertung. Angeführt von einem Oscar-Preisträchtigen Phoenix wird dieser Film uns weiter verfolgen. Negativ mit einem beklemmenden Gefühl und positiv einen der besten Filme des Jahres gesehen zu haben.
4/5 Hüten mit starker Tendenz Richtung 4,5