Bewertung: 4.5 / 5
ACHTUNG! SPOILER – SPOILER – SPOILER!
Besser spät als nie, hier nun meine Kritik zu Avengers – Endgame. Wie immer, verzichte ich auch hier auf eine kurze Inhaltsangabe, da jeder die Möglichkeit hat, sich überall Inhaltsangaben durchzulesen oder sich Trailer anzusehen.
Trailer zu Avengers - Endgame
Ich arbeite mich hier mal chronologisch durch die Story durch und zeige auf, was mir gut gefallen hat und was weniger:
Part 1 - 2019
Endgame beginnt mit einer eigentlich tollen Szene, die sich um Clint Barton und seine Familie dreht. Soweit ein toller Start, der jedoch noch etwas mehr Tiefe, Länge und mehr Dialoge vertragen hätte, um die Emotionalität zu verstärken. So hat der Verlust von Clints Familie mich relativ kalt gelassen, weil die Szene zu schnell abgehandelt wurde. Schade, ein wenig verschenktes Potential.
Dann kommt allerdings eine wunderbare Szene auf dem Raumschiff mit Tony und Nebula. Diese gesamte Situation der beiden wurde wunderbar umgesetzt und hat wirklich viele Emotionen bei mir ausgelöst, sowohl durch die Darstellung von Robert Downey Jr. oder Karen Gillan als auch durch die Situation und die minimalistische Musik. Wie Nebula Tony im Schlaf auf den Pilotensitz getragen hat oder wie sie seine Wunden versorgt hat, wie sie miteinander gespielt haben, alles klasse. Leider wiederum wird dies in den restlichen 170 Minuten des Films nie wieder aufgegriffen. Tony und Nebula waren 21 Tage zusammen auf dem Schiff, haben Emotionen aufgebaut, aber von einer späteren Freundschaft ist nichts mehr zu spüren gewesen. Wieder einmal leider verschenktes Potential einer fast perfekten Zweit-Eröffnungsszene. Nur fast perfekt auch deshalb, weil die Rettung durch Carol Danvers, die ich im Übrigen korrekt vor ein paar Wochen prophezeit habe, etwas plump und schnell rüberkam. Mir hätte es gefallen, wenn erst einmal ein paar Dialoge zwischen Tony, Nebula und Carol geführt worden wären. Carol hat allgemein einfach viel zu wenig Text und Screentime gehabt, doch dazu später mehr.
Das Widersehen aller wurde mir leider auch etwas zu schnell abgehandelt, eher zweckmäßig als emotional.
Die Szene um Thanos war ganz gut, aber auch hier ging mir das einfach viel zu schnell. Da hatte ich mir etwas mehr gewünscht / erhofft. Es wäre definitiv mehr drin gewesen.
Part 2 - 2024
Jetzt kommen wir zu dem in meinen Augen wirklich gelungendstem Teil von Endgame.
Einige der überlebenden Helden und Charaktere haben einen ausführlichen Part bekommen und diese wurden toll und emotional in Szene gesetzt. Steve Rogers, Tony Stark, Natascha Romanov, Bruce Banner, Thor und Scott Lang hatten dabei den größten Anteil vom Kuchen bekommen. Zum Beispiel finde ich die Story um Scott Lang, wie er aus der Quantenebene zurückkehrt und seine Tochter wiedertrifft, klasse.
Leider jedoch sind die anderen Überlebenden wieder etwas zu kurz gekommen: James Rhodes, Nebula, Carol Danvers, Valkyrie, Sam Wilson, Okoye und Rocket hatten meiner Meinung nach zu wenig Screentime. Gerade auch Rocket, den ich unglaublich liebe, kam viel zu kurz. Ich hätte mir da viel mehr von seinem Witz und seiner Art gewünscht, mehr Dialoge mit den anderen Helden und wie diese damit umgehen, dass ein Tier sprechen kann. Da bietet sich so viel an, wovon leider nicht viel genutzt wurde. Aber auch Nebula und ihre zu Tony aufgebaute Beziehung hat keinerlei Bewandnis mehr gehabt. Auch Valkyrie wurde zu einer unwichtigen Nebenperson, für dich sich Thor auf einmal gar nicht mehr interessierte. Auch zwischen den beiden ist praktisch nichts mehr passiert, keine richtigen Dialoge und Szenen. Überhaupt finde ich Thor in Endgame nicht so pralle. Anfangs habe ich noch sehr viel gelacht über seinen Suff, seinen Bierbauch und den Witz von (Tony?), als er Thor als „Lebowski“ bezeichnet hat. Später dann aber habe ich mir den selbstbewussten, starken und coolen Thor zurückgewünscht, vor allem nach seinem Wiedersehen mit seiner Mutter in Asgard. Aber am Ende auf dem Schiff von Peter Quill wirkte er immer noch wie ein Suffkopp. Professor Hulk wiederum finde ich klasse umgesetzt, leider jedoch hat er mir zu wenig an den Kämpfen teilgenommen.
Die Story um die Findung einer Möglichkeit, all das Geschehene rückgängig zu machen und die Aufgelösten zurückzuholen, die Planung der Zeitreise und die Durchführung dieser, die Wieder-Erlebnisse der Vergangenheit aus einer etwas anderen Perspektive, das macht alles tierisch viel Spaß und hat sehr viele Emotionen und Nostalgie in mir ausgelöst. Sei es das kurze Wiedersehen zwischen Thor und seiner Mutter, zwischen Tony und Howard oder das „Treffen“ von Steve auf Peggy Carter oder die Szenen mit Nebula 1, Nebula 2, Gamora und Thanos. Klasse ist auch die Situation zwischen Natascha und Clint und wie Natascha sich opfert. Sehr emotional.
Aber auch hier ist dieser Part der Zeitreisen viel zu kurz und ich hätte mir da wesentlich mehr Probleme in den Vergangenheiten gewünscht, die erst einmal gelöst hätten werden müssen, ähnlich wie bei Zurück in die Zukunft. Viele Szenen werden zum Teil wieder zu schnell abgehandelt. Ich hätte zum Beispiel gerne gesehen, wie Rocket sich den Äther schnappt, dabei aber wieder vieles schiefläuft. James Rhodes war irgendwie auch nur eine überflüssige Figur neben Nebula, die praktisch alles alleine gemacht hat mit dem Orb. Leider wird der Verlust von Natascha kaum weiter angesprochen und die richtig starken Emotionen bleiben aus.
Im Großen und Ganzen überwiegen die positiven Momente die negativen stark bzw. passiert immer soviel, dass ich als Zuschauer kaum die Zeit habe, mal ausgiebiger über eine Sache nachzudenken oder Dinge auf mich wirken zu lassen. Mehr „Blade Runner: 2049“ hätte Endgame gut getan, also mehr Atempausen und längere Schnitte.
Was das Zeitreisen an sich betrifft, so finde ich das relativ gut gelöst, vor allem mit der Erklärung, dass alles, was uns Zurück in die Zukunft gelehrt hat, keine Bewandnis hat und Zeitreisen nicht diese Wirkung haben. Ganz richtig fühlt es sich zwar trotzdem nicht an, weil Zeit für mich immer ein Fluss bleibt, der, wenn die Vergagenheit verändert wird, sofort in der Zukunft Auswirkungen haben müsste. Aber egal, darüber sollte man nicht zu lange nachdenken, denn Zeitriesen sind vor allem eines niemals: Logisch nachvollziehbar.
Part 3 – 2024 – Das Endgame
Die Schlacht am Ende ist optisch und tontechnisch eindrucksvoll und macht sehr viel Spaß und bietet jede Menge Abwechslung. Fast jeder Held darf zeigen, was er kann und einige dürfen auch Thanos mal ordentlich zeigen, was sie drauf haben. Das kam in Infinity War meiner Meinung nach etwas zu kurz und ich habe dort immer das Gefühl, dass sich die meisten immer etwas zurückgehalten haben, allen voran Wanda und Vision.
Allerdings ist die Schlacht auch etwas überladen an Helden, die oftmals nur wenige Sekunden Screentime haben. Das Gefühl, dass die Schlacht tödlich und gefährlich ist, kommt leider auch kaum auf, dabei sind viele der Heldinnen und Helden nur normale Menschen ohne Überkräfte, sodass es beim Beschuss durch Thanos Schiff eigentlich viel mehr Tote hätte geben müssen.
Was ich auch schade finde, dass Gamora am Ende plötzlich verschwunden ist und nicht mehr gezeigt wurde, nachdem sie Peter Quill begegnet ist. Wo war sie plötzlich?
Die Szene um Tony und seinen Einsatz des Handschuhs war wiederum extrem emotional und hat mir Tränen in die Augen gedrückt. Schade nur, dass zu wenige von ihm noch Abschied nehmen konnten, als er noch atmete. Aber dennoch ein sehr emotionaler Abschluss.
Nichtsdestotrotz waren die Verluste für eine solche Schlacht zu gering für meinen Geschmack. Klar freue ich mich, dass fast alle überlebt haben, aber es macht das Ganze auch etwas unlogisch und lässt mich an der Gefährlichkeit von Thanos wieder etwas zweifeln. Die Helden schnetzeln sich durch die Gegnermassen, aber die Gegnermassen erwischen scheinbar niemanden von den Guten oder nur Statisten.
Für mich hätten die Russos sich Herr der Ringe mehr als Vorbiold nehmen sollen. Die Endschlacht und das Ende an sich sind dort viel emotionaler. Genau solch einen emotionalen Abschluss hätte ich mir nach 22 Filmen im MCU auch gewünscht.
Den Abschluss der Geschichte um Steve Rogers finde ich klasse. Ich habe es ihm immer gegönnt, dass er doch noch mal mit Peggy Carter zusammenkommt. Allerdings frage ich mich, wie er das Problem gelöst hat, dass er somit doppelt in der Vergangenheit existiert hat. Er ist ja in der Antarktis abgestürzt und 2012 wieder aufgetaucht. Damit wurde die Vergangenheit eigentlich beeinflusst. Was ich aber genial finde, ist, dass Steve Mjölnir bekommt und damit mal ordentlich auf den Putz hauen darf. Wenn jemand würdig ist, den Hammer zu führen, dann wohl Steve. Richtig gut gelöst! Was ich wiederum schade finde, dass Steve sich vor seiner Abreise in die Vergangenheit von allen verabschiedet, aber nur Bucky umarmt, später auf der Bank aber dann nur mit Sam spricht und ihm sogar den Schild vermacht. Eigentlich passt der Schild meiner Meinung nach viel besser zu Bucky als zu Sam.
Ansonsten kann ich nur noch mal meine Enttäuschung über den Umgang mit Carol Danvers ausdrücken. Sie hatte zu wenig Screentime und die Szenen, die sie hatte, waren plump und emotionslos. Da hätte ich mir viel mehr Dialoge mit ihr und den anderen Helden gewünscht. Auch am Ende, wo sie und Nick Fury auf der Veranda stehen, hätte sich im Nachhinein doch noch ein emotionaler Dialog angeboten, schließlich treffen die beiden sich nach über zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder. In Captain Marvel finde ich Carol so klasse, dass ich hier bei Endgame nun ein wenig enttäuscht bin.
Dass Nick Fury zudem nicht einen Satz spricht, finde ich ebenfalls sehr schade.
Fazit:
Mein Fazit bzw. meine Bewertung gehört eindeutig in die Schublade „Fankritik mit aufgesetzter Fanbrille“, daher kann ich über die vielen Schwächen des Films fast bedenkenlos hinwegsehen, weil der Film mich als Fan einfach trotzdem ziemlich begeistert hat. Die 181 Minuten vergingen wie im Flug. Endgame ist so vollgestopft mit Anspielungen, Szenenwechseln, Charakteren, Dialogen, Humor, Kämpfen, Handlungsorten und Emotionen, dass ich kaum weiß, worüber ich als erstes nachdenken soll. Der Film hat sehr viel Lob verdient, aber ebenso viel Schelte. Er reißt mich emotional mit, kratzt aber oft dennoch nur an der Oberfläche dessen, was möglich gewesen wäre. Außerdem bekommen leider nicht alle Helden ihre Würdigung und Screentime, die sie verdient hätten.
Was ich Avengers - Endgame vorwerfe, ist, dass er zum Teil Drama sein will, dies aber nicht gänzlich hinbekommt, weil der Film immer wieder einen Rückzieher in die Action und in den Humor macht, wenn Endgame gerade dabei ist, dramtisch zu Höchstform aufzulaufen.
Meiner Meinung nach hätte man aus Endgame zwei Filme machen sollen. Einen Film über die 5 Jahre nach Infinity War und die Planung der Findung einer Lösung. Dieser Film hätte sich auf alle Charaktere noch stärker fokussieren können und hätte den Zuschauer emotional noch viel tiefer hineinziehen können, sodass die Bindung zwischen Zuschauer und Charakteren viel stärker aufgebaut wird. Das wäre dann so eine Art Avengers-Drama gewesen, ohne viel Action, aber gerne drei Stunden lang. Der Fokus sollte auf den Charakteren und deren Gefühlen liegen, auf den Freundschaften und auf zerbrochene Freundschaften und auf den Abgründen, die sich seelisch durch die Verluste bei den Helden aufgetan haben, und weil sie sich selbst die Schuld an dem Versagen geben.
Der zweite Film hätte dann die Zeitreisen und die Endschlacht beinhaltet. So hätte man die Szenen in der Vergangenheit noch viel länger und ausführlicher behandeln können mit viel mehr Problemen in den anderen Zeiten, die erst einmal gelöst werden müssten, ähnlich wie bei Zurück in die Zukunft. Darüber hinaus hätte der Film dann die Siegesfeier nach der Endschlacht und die Rückkehr ins normale Leben behandeln können, mit allem Drum und Dran, Dankesreden der Zurückgekehrten, Entschuldigungen durch die Regierungen gegenüber Steve und Bucky, Trauerreden um die Verluste, Wiederfinden alter Freundschaften, usw.. Etwa 90 Minuten Zeitreisen und nochmal etwa 60 Minuten die Endschlacht und dann nochmal 30 Minuten Abschied / Siegesfeier / Dialoge mit den „Zurückgekehrten“.
Wenn ich nur daran denke, wie geil das hätte werden können und wie viel Potential hier verschenkt wurde, dann trauere ich darum. Der Höhepunkt von 22 Filmen hätte mehr verdient. Der Tod von Natascha, Tony, Vision, Loki und Gamora hätte viel mehr Dramatik verdient. Der Sieg über Thanos und die Heimkehr der Verlorenen hätte ebenfalls einen viel größeren Abschluss verdient. Stattdessen stehen am Ende alle nur stumm da und keiner redet mit dem anderen. Schade.
Eine endgültige Bewertung fällt mir heute, einen Tag nach der Sichtung, noch recht schwer. Zuviel ist im Film passiert, um es nach einer Sichtung vollständig verarbeiten zu können. Gerne würde ich ihn direkt noch einmal sehen, um ein besseres Urteil vergeben zu können. Da ich solange aber nicht warten will, hier nur meine Bewertung:
Mit Blick auf die Schwächen und das verschenkte Potential im Drama-Bereich würde ich wohl eher nur maximal 8/10 Punkte vergeben.
Als Fan kann ich die wilde Achterbahnfahrt an Gefühlen und Emotionen und den Abwechslungsreichtum und den Fanservice aber nur geil finden und vergebe trotz der Schwächen 10/10 Punkte für ein geniales Erlebnis im Kino.
Die goldene Mitte ist also:
9/10 Punkte - Hoher Wiederschauwert