Als Zack Snyders Sucker Punch im Frühjahr 2011 in die Kinos kam, wurde er von der Kritik nahezu einhellig verrissen: „Style over substance“ hieß es, „ein Männertraum in Zeitlupe“ oder schlicht: „visuell eindrucksvoll, aber hohl“. Auch an den Kinokassen blieb der Erfolg mit bescheidenen 90 Millionen Dollar Einspiel vs. einem Budget von 82 Millionen aus - zu verwirrend, zu inhaltslos.
Doch was, wenn all diese Vorwürfe auf einem Missverständnis beruhen? Was, wenn Sucker Punch nie als konventioneller Blockbuster gedacht war, sondern als Abrechnung mit Hollywood, mit männlicher Dominanz, mit der Art, wie wir weibliche Figuren konsumieren? Fast 15 Jahre später lohnt sich eine andere Perspektive auf ein Werk, das seiner Zeit vielleicht schlicht zu weit voraus war.
Die visuelle Wucht - Style over Substance?
Ja, Sucker Punch ist laut, grell, überstilisiert. Snyder jongliert mit Steampunk, Anime, Videospielästhetik, Burlesque und Fantasy. Es wirkt oft wie ein Fiebertraum eines pubertierenden Jungen - und doch liegt genau darin der Schlüssel. Die überdrehten Actionsequenzen sind keine Eskapismus-Fantasien für den Zuschauer, sondern von Babydoll, der zentralen Figur, also selbst erschaffene Parallelwelten. Die stilisierte Gewalt, die hypersexualisierten Outfits, der permanente Kitsch: All das ist nicht unreflektiertes Spektakel, sondern Teil der Erzählung. Man könnte sagen: Der Stil ist die Substanz.
Traumwelten und Realität - Ein albtraumhaftes Puzzle
Sucker Punch erzählt auf drei Ebenen: Realität, Fantasie und tieferliegende Symbolik. Auf der realen Ebene ist Babydoll in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, soll einer Lobotomie unterzogen werden. Die zweite Ebene: Ein Bordell, in dem sie mit anderen Mädchen tanzt, um Männer zu „besänftigen“. Die dritte Ebene: Phantastische Action-Missionen, in denen sie Drachen, Roboter und Zombies bekämpft. Was zunächst wirr erscheint, offenbart sich beim zweiten Blick als klug konstruiertes Gleichnis über Trauma, Selbstermächtigung und die perfiden Strukturen männlicher Kontrolle. Snyder zwingt sein Publikum, sich zu fragen: Was sehen wir hier wirklich?
Feministischer Film oder reine Männer-Fantasie?
Hier scheiden sich die Geister. Ist Sucker Punch eine Kritik an der Objektivierung weiblicher Körper oder betreibt er sie selbst? Snyder inszeniert seine Heldinnen als Sexsymbole, lässt sie gleichzeitig aber gegen ein System kämpfen, das sie genau darauf reduziert. Viele Kritiker warfen dem Film vor, sich nicht klar zu positionieren. Andere erkannten: Sucker Punch spielt mit Klischees, um sie zu dekonstruieren. Babydoll tanzt nicht, um Männer zu verführen, sondern um sich selbst zu retten. Ihre Sexualisierung ist Waffe und Gefängnis zugleich.
Zack Snyder - Der Missverstandene
Snyder ist ein Regisseur, der polarisiert: 300, Watchmen - Die Wächter, Batman v Superman - Dawn of Justice - immer wieder wurde ihm Pathos, Oberflächlichkeit oder auch politischer Zynismus vorgeworfen. Snyder ist einfach jemand, der große Ideen in große Bilder gießt. Sucker Punch ist dabei sein persönlichstes Werk: Er schrieb das Drehbuch, führte Regie und überwachte die komplette visuelle Umsetzung. Es ist ein Film, der sich verweigert: Dem Mainstream, den Erwartungen, der einfachen Antwort.
Rehabilitierung durch die Fans
Über die Jahre hat Sucker Punch eine kleine, aber leidenschaftliche Fangemeinde gewonnen. Auf YouTube, Reddit und in Essays wird der Film inzwischen neu bewertet. Viele sehen ihn heute als Vorläufer feministischer Blockbuster wie Mad Max - Fury Road oder Die Tribute von Panem - The Hunger Games. Die Rufe nach einem weiteren Director’s Cut werden lauter. Zwar existiert bereits ein Director’s Cut, doch Snyder spielt auf eine noch ursprünglicher gedachte Fassung an: Der finale Akt sei dem Studio damals zu düster gewesen, seine eigentliche Vision blieb somit auf der Strecke. Heute, so der Regisseur, würde er diese ungeschönte Version nur zu gern der Öffentlichkeit zeigen.
Fazit - Der Film, den keiner verstehen wollte
Sucker Punch ist unbequem. Er ist nicht leicht konsumierbar, nicht eindeutig, nicht gefällig. Aber vielleicht ist das genau sein Wert. In einer Zeit, in der Blockbuster oft auf Nummer sicher gehen, ist es ein Film, der zu seiner Erscheinung etwas wagte, aber dafür abgestraft wurde.
Heute, im Rückblick, erkennen viele: Snyder zeigte uns kein Heldenepos, sondern ein modernes „Märchen“ über Überleben, Kontrolle und Befreiung in einem System, das Frauen selten zuhört.
Vielleicht war das Publikum damals einfach noch nicht bereit?