AnzeigeN
AnzeigeN

Killers of the Flower Moon

Kritik Details Trailer News
Ein Portrait der (eigenen) Vergänglichkeit:

Killers of the Flower Moon Kritik

Killers of the Flower Moon Kritik
2 Kommentare - 02.11.2023 von Entenverlag
In dieser Userkritik verrät euch Entenverlag, wie gut "Killers of the Flower Moon" ist.
Killers of the Flower Moon

Bewertung: 3.5 / 5

Spoiler- & Triggerwarnung:
Gewalt, Mord, Genozid, Rassismus

Ein Portrait der (eigenen) Vergänglichkeit:
"Killers of the Flower Moon"
Eine (kritische) Analyse.

Trailer zu Killers of the Flower Moon

Martin Scorsese hat seine Sterblichkeit klar vor Augen. Das hat er in Interviews schon mehrfach zu verstehen gegeben: "At my age, your body tells you at a certain point you need to pace yourself", sagte er kürzlich der New York Times. Aber ein erfolgreicher Künstler bleibt der Welt auch nach seinem Tod erhalten. Nur was hinterlässt ein Mann, der zwar für die Revolution Hollywoods mitverantwortlich ist, sich aber noch nicht angekommen fühlt? Dem mehr und mehr der Gedanke kommt, kaum noch Zeit zu haben?
"I’m still searching for the answer to how we take care of each other. I thought my films should reflect that.” Für Scorsese scheint die Antwort in Aktivismus zu liegen. Nicht als Politiker, sondern als Regisseur. Welcher, und das hat unter anderem die Epoche des New Hollywood bewiesen, nicht minder gesellschaftlichen Einfluss üben kann. Der seinem Publikum den Spiegel vorhalten und die Geschichte seines Vaterlandes reflektieren will. Ein Bestreben, das sich wie ein Leitfaden durch sein Schaffen zieht.

"Killers of the Flower Moon" ist insofern, das bestätigte der Regisseur selbst, ein Herzensprojekt von ihm. Eine wortwörtliche Anklage an die Vergangenheit Amerikas, ein Portrait einer zerstörten Kultur. Denn schon in der ersten Szene müssen sich die indigenen Osage sinnbildlich von ihrer angestammten Lebensweise abwenden. Der weiße Mann ist in ihre Heimat vorgedrungen, er kolonialisiert und beutet aus. Und so beginnt der Film mit einem Begräbnis der zeremoniellen Pfeife des Volksstammes. Weil in einer geraubten Welt, und das macht "Killers of the Flower Moon" mit jeder Minute deutlicher, kein Platz für eine eigene Identität ist.
Alles, was zählt, sind Reichtum, Macht und Einfluss. Nur darum geht es dem Antagonisten William Hale, welches Verbrechen er dafür auch begehen muss. Die Figuren nennen ihn "King", passend zu dem Shot, in welchem sich der schwarz-weiß karierte Boden in seiner Brille spiegelt, als würde er ein Schachfeld überblicken. Er ist der schleichende Untergang der Osage, Sinnbild des Kapitalismus und der weißen Gier nach Öl und Geld. Robert DeNiro spielt den Charakter mit einer zurückhaltenden Heimtücke; nur selten scheint das wahre Wesen der Figur durch seine subtile Performance.
Ganz im Gegensatz zu Leonardo DiCaprio, der mit Ernest Burkhart eine weitaus transparentere Rolle spielt. Ein einfacher Mann mit wenig Prinzipien und noch weniger Bildung, der sich vor allem über Statussymbole definiert. Tritt er zu Beginn noch ungepflegt und verwahrlost auf, wandelt sich seine Erscheinung in Relation zu dem Reichtum, den er nach und nach erlangt. Als Protagonist ist er somit eine Herausforderung für die Zuschauer*innen: Scorsese verwehrt uns ganz bewusst eine Identifikationsfigur, auf der wir uns ausruhen können. Wir sollen reflektieren, nicht folgen, weswegen Ernest am Ende des Filmes auch keine Katharsis gewährt wird. Er ist der schweigende Träger allen Unrechts, weil er es nicht erkennt oder nicht hinterfragt, weil es ihn nicht interessiert oder er es sogar billigt, und uns darin doch ähnlicher als uns lieb ist.
Der heimliche Star des Werkes ist viel mehr Molly Burkhart. Sie ist eine der Osage, leidet unter den Intrigen von William Hale und ist neben ihrem unlauteren Ehemann Ernest zur Untätigkeit verdammt. Bildlich wie narrativ: Während die Geschichte sie an das Bett fesselt, schränkt auch die Kamera ihre Bewegungsfreiheit ein. Umso mehr ihrer Verwandten sterben, desto weniger Handlungsspielraum, desto weniger eigene Kultur, desto weniger Leben bleibt ihr noch. Bis zum Tod ihrer Schwester, ab welchem sie allein, und dem folgend im Shot, als sie die entsprechende Information erhält, von Scorseses Bildsprache auch räumlich eingesperrt ist. Lily Gladstone schreit verzweifelt dagegen an, spielt ihre Figur aber auch ganz bewusst mit einem hilflosen Stolz. Für den ihre Figur Erlösung erfährt - der Film schließt mit einem hoffnungsvollen Shot auf heutige Osage und der Lebendigkeit ihrer Kultur.

Generell harmoniert die Bewegung der Kamera mit dem Zustand der zu sehenden Figuren. So geht der Film von der beschriebenen Eröffnungsszene in eine Montage über, welche einige Morde an den Osage illustriert: Eine dynamische Kamera, während die gezeigte Person noch lebt, ein harter Schnitt und ein statisches Bild, sobald sie tot ist. Die weiten Landschaftsaufnahmen erinnern hingegen an die Epoche des Classical Hollywood, von der Scorsese verschiedene Vertreter auch klar als verbundene Filme zu "Killers of the Flower Moon" beschreibt.
Die Ästhetik ist demnach, auch wenn ein Streaming-Dienst den Film finanziert hat, für die große Leinwand gedacht. Immersive Nahaufnahmen wechseln sich mit kontrastreichen Panoramen ab, die Figuren wie Silhouetten vor farbintensivem Hintergrund. Und doch verpasst der Film seine Möglichkeiten, wenn er in Dialogen zu oft zwischen denselben Perspektiven hin- und herschneidet und sich in Totalen zu wenig variiert. Er kann sein Setting kaum wirklich ausreizen, wenn gerade die narrativ relevanten Ölbohrtürme nur Hintergrundelement bleiben dürfen und der Horizont zu selten die Bildmitte verlässt. Scorsese versucht sich mit der Einblendung von historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen und einem kontextualisierenden Voiceover - das keinesfalls so clever in den Film eingebunden werden kann wie in "The Irishman" - an einem dokumentarischen Stil, gibt dafür aber filmische Gestaltungsoptionen ab.

Ein Makel, den "Killers of the Flower Moon" auch im Finale nicht vermeiden konnte. Um die Handlungen der Figuren einzuordnen, inszeniert Scorsese einmal mehr eine Gerichtsverhandlung, nutzt diese im Vergleich zu "GoodFellas" aber nicht zur Reflexion des Filmes. Dafür muss stattdesssen ein angehängtes Bühnenstück herhalten, angelehnt an zeitgenössische Darbietungen über vom FBI gelöste Mordfälle. Mit einem Cameoauftrifft wendet sich der Regisseur persönlich an sein Publikum, kritisiert die Ignoranz gegenüber den Osage-Morden und möchte uns auch über das Werk hinaus zum Nachdenken anregen. Die Botschaft ist klar: Was wir die letzten dreieinhalb Stunden wahrgenommen haben, unterlag zwar dem Anspruch, unterhaltsam präsentiert zu werden, damit wir nicht wegsehen; doch dahinter steckt eine wahre, grausame Geschichte, die keinesfalls nur Zerstreuung sein sollte. Ganz gezielt reißt uns Scorsese also aus seinem eigenen Film, macht uns klar, dass seine Kunst auch Aktivismus ist.
Ein plumper Versuch. Statt uns ebendiesen Kontrast zum Unterhaltungskino fühlen zu lassen - etwas, das die 230 Minuten zuvor deutlich besser konnten, ebenso wie die vergleichbaren Versuche in "GoodFellas", "The Wolf of Wall Street" oder insbesondere "The Irishman", die allesamt deutlich cleverer die vierte Wand brechen - redet uns Scorsese buchstäblich ins Gewissen. Aus aktivistischer Perspektive ein nachvollziehbarer Schritt, aber einer, bei dem die künstlerische Perspektive in den Hintergrund tritt.

7 von 10 Enten.

Killers of the Flower Moon Bewertung
Bewertung des Films
710

Weitere spannende Kritiken

Black Panther Kritik

Black Panther Kritik

Poster Bild
Kritik vom 28.04.2024 von ProfessorX - 0 Kommentare
TChalla (Chadwick Boseman) kehrt nach dem Tod seines Vaters zurück in seine Heimat Wakanda. Dort soll er, der Black Panther, nun auch den Thron seines Vaters besteigen. Das technologisch hoch entwickelte Land lebt abgeschottet von der Welt. Eines Tages will der Söldner Erik Stevens (Michae...
Kritik lesen »

Thor - Tag der Entscheidung Kritik

Thor: Tag der Entscheidung Kritik

Poster Bild
Kritik vom 28.04.2024 von ProfessorX - 0 Kommentare
Der Donnergott Thor (Chris Hemsworth) ist weitab von seiner Heimat Asgard. Er wird von dem mächtigen Wesen Surtur (Clancy Brown) gefangengehalten, der ihm offenbart, daß Ragnarök – das Ende der Welt – bevorsteht. Unterdessen kehrt die erbarmungslose Hela (Cate Blanchett) ...
Kritik lesen »
Mehr Kritiken
Was denkst du?
Ich stimme den Anmelderegeln beim Login zu!
2 Kommentare
MJ-Pat
Avatar
luhp92 : : BOTman Begins
05.11.2023 19:13 Uhr | Editiert am 05.11.2023 - 19:14 Uhr
0
Dabei seit: 16.11.11 | Posts: 17.401 | Reviews: 180 | Hüte: 635

Wie so oft, eine vortreffliche Analyse smile

Zum Ende hatte Wolfgang Schmitt auch noch einen interessanten Interpretationsansatz. Wenn Filme im Vergleich mit der Realität nur zur Schau Stellen und Glorifizieren können (das gilt z.B. ja speziell beim Antikriegsfilm als zentrales Paradoxon), dann muss Scorsese diesen Makel für das/sein reales Anliegen irgendwie durchbrechen. Und er tut es, in dem er sich mit der Rede selbst in den Film einfügt.

"Dit is einfach kleinlich, weeste? Kleinjeld macht kleinlich, Alter. Dieset Rechnen und Feilschen und Anjebote lesen, Flaschenpfand, weeste? Dit schlägt dir einfach auf de Seele."

Avatar
Entenverlag : : Moviejones-Fan
02.11.2023 11:56 Uhr
1
Dabei seit: 20.02.23 | Posts: 103 | Reviews: 21 | Hüte: 17

Trotz der Kritikpunkte würde ich "Killers of the Flower Moon" als ein einzigartiges Kinoerlebnis beschreiben. Auch gerade wegen der Länge. Meine Empfehlung: Geht hin, wenn sich euch die Möglichkeit bietet!

"Je poetischer, je wahrer."
~Novalis

Forum Neues Thema
AnzeigeY