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Vielleicht in einem anderen Leben

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"Wiener Blut" im Todesstadl

Vielleicht in einem anderen Leben Kritik

Vielleicht in einem anderen Leben Kritik
0 Kommentare - 17.06.2012 von FBW
Hierbei handelt es sich um eine Kritik der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW).

Bewertung: 3.5 / 5

Spätestens seit Eichinger-Hirschbiegels Der Untergang über Hitlers letzte Tage gibt es in Spielfilmen kein Halten mehr, wenn es um die Rekapitulation des Dritten Reichs und seiner Gräuel geht. Jahrzehntelang blieb das Thema dem dokumentarischen Genre vorbehalten. Von besonderer dramatischer Anziehungskraft scheinen dabei die letzten Tage des Krieges und der Naziherrschaft zu sein. Oliver Storz erzählte in Vier Tage im April unpathetisch von einem Zug voller jüdischer Häftlinge, der plötzlich als allen sichtbare Herausforderung auf dem Bahngleis einer schwäbischen Kleinstadt stand. Joseph Vilsmaier schilderte einen der letzten Transporte nach Auschwitz, Unter Bauern, mit Veronica Ferres, zeigte die Zivilcourage von Bauern im Westfälischen. Längst scheinen sich neue Filme über die Gräuel des Dritten Reichs auf ihre Vorgänger zu beziehen, wie nun Elisabeth Scharangs Vielleicht in einem anderen Leben.

In den letzten Tagen des Dritten Reichs ist im Osten Österreichs eine Gruppe jüdischer Häftlinge unter Führung eines SS-Oberscharführers unterwegs - ins Konzentrationslager Mauthausen, wie man später im Film erfährt. Schon in einer der ersten Szenen wird in einer Art Pistolenroulette einer der Gefangenen erschossen. Er ist geschminkt, trägt eine bleiche Clownsmaske im Gesicht.

Die Gewalt und die Kunst in einer ihrer leichtesten Formen, der Operette, Light Entertainment gewissermaßen - das sind die Pole, zwischen denen Scharangs nach einem Theaterstück von Peter Turrini und Silke Hassler gedrehter Film hin und her pendeln wird. Zwischen der Utopie von einem besseren Leben und der Hölle des Untergangs. Anfänglich sieht man den Zug der Gefangenen durch eine grüne weite Landschaft ziehen. Hoch oben am Himmel wirft ein Flieger das Staniolpapier eines Kaugummis ab. Schwebend fällt es zu Boden und wird in der Hand eines Gefangenen zur Freiheitsmetapher.

Um solche Schwerelosigkeit, eine schwerelose Freiheit des Erzählens, ist auch die weitere Handlung bemüht, wenn die jüdischen Gefangenen in einem Schuppen verriegelt werden und fortan niemand weiß, wohin ihre weitere Reise geht: zurück in die ungarische Heimat, nach Budapest, oder ins Todeslager?

Die Einheimischen jedenfalls wollen die fremden Gefangenen nicht ertragen, schon wetzen sie Messer, bringen Gewehre in Anschlag, um mithilfe der Nazi-Obrigkeit ein Massaker zu verüben. Erinnerungen an das Massaker von Rechnitz, als - gleichfalls in den letzten Kriegstagen - während eines Festgelages 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter erschossen wurden, werden wach. Elfriede Jelinek schrieb darüber ihr eigenes Theaterstück.

Bis zum Ende gibt es penibel inszenierte Bilder von hungernden, todesschwachen Gefangenen, aber auch von einer tapferen Bäuerin, die den Häftlingen unter Lebensgefahr zu essen gibt. Die Schauspielerin Ursula Strauss spielt diese Bäuerin schön und standhaft, fast ikonenhaft überirdisch (und bekam prompt für ihre Rolle den österreichischen Darstellerpreis), aber eben auch ganz im Leben stehend, wenn sie ihr Tun mit dem schönen Satz kommentiert: "Des is ka Hochverrat, des is a Suppn." Sie und ihr vom Saulus zum Paulus mutierender Mann (ihr nicht ganz gewachsen: Johannes Krisch) kramen zuletzt Zither und Quetsche hervor, um die Gefangenen bei ihrer Aufführung tatkräftig unterstützen. "Wiener Blut, eigner Saft voller Kraft, voller Glut", der Text eines jüdischen Wiener Emigranten, wird zu einem absurden Volksgesang im Totenhaus.

"Die Österreicher sind immer davongekommen", behauptete die Dichterin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, sie hätten "ihre Unschuldigkeit zum Dogma erhoben". Diese Zeiten sind nun, wie nicht zuletzt dieser Film zeigt, allerspätestens vorbei.

Vielleicht in einem anderen Leben bekommt 3,5 von 5 Hüten.


(Quelle: teleschau - der mediendienst | Wilfried Geldner)

Vielleicht in einem anderen Leben Bewertung
Bewertung des Films
710

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