Bewertung: 2 / 5
Ari Aster findet sich geil. Kaum hat er die beiden Kritikerlieblinge "Hereditary" und "Midsommar" geschaffen - welche ihrem Ruf bei genauerer Betrachtung selbstverständlich nicht gerecht werden -, gibt sich sein dritter Film, "Beau is afraid", der Selbstbeweihräucherung hin.
Dabei sind die Motive ähnlich: Wieder eine Figur, die sich in Asters abstrakter Inszenierung verliert, wieder ein Familiendrama, das psychologisch untersucht werden soll. Vom Film wie von Zuschauenden. Der titelgebende Beau leidet unter Verfolgungswahn, unter Angststörung, unter Mutterkomplexen - die drei Kapitel des Filmes.
Gegenwart, Zukunft, Vergangenheit. Zu Beginn beleuchtet "Beau is afraid" die Gesellschaft, in der sein Protagonist überleben muss; ein albtraumhaftes, absurdes Zusammenleben grausiger Gestalten. Aster erschafft ein Gefühl ständiger Bedrohung, ständiger Beobachtung. Die psychischen Probleme der Hauptfigur schlagen sich in der surrealen Symbolik nieder: Keine Ruhe in den eigenen vier Wänden finden, Chaos und Gewalt auf den Straßen, überall Dreck und Schmutz. Ja, auch Tod und Selbstmord werden thematisiert, in Form einer hochgiftigen Spinne lauert die Gefahr sogar an der eigenen Decke. Das Setting spiegelt das Unwohlsein des Protagonisten; immer wieder stellt die Bildsprache - über Schwenks, Zooms und Jumpcuts - die Unzugehörigkeit der Figur dar. Fast satirisch und mit kontrastiver Musik unterlegt unterstreicht Aster somit die Dysfunktionalität seiner Charaktere. Und gibt sie an Zuschauende weiter, wenn sich die Grenzen, zwischen was tatsächlich und was in ihren Köpfen abläuft, auflösen.
Trailer zu Beau Is Afraid
Entsprechend trägt der Blick in die Zukunft der Figuren etwas Fantastisches in sich. Er ist der Realität, die "Beau is afraid" konstruiert, enthoben. Mittels farbenfroher Animation zieht der Film eine Trennlinie zwischen dem, was der Hauptperson zustößt, und dem, was ihr zustoßen könnte. Als läse das Voiceover aus einem Kinderbuch vor, was Aster ganz gezielt ins Filmische transferiert. Über ein Theaterstück, der Grundlage des Mediums an sich.
Und doch wendet sich die Erzählerin gezielt an Beau, reflektiert die Möglichkeiten und Probleme seines Leben. Das Erscheinungsbild der Figur ändert sich mit jeder Strophe, lässt sie vom teilnahmslosen Beobachter zum Teil der Geschichte werden. Zumindest, bis ihn die Wirklichkeit wieder einholt - ein Happy End gibt es für Beau nur in der Theorie.
Denn seine Vergangenheit hält ihn noch immer Gefangen. Kindheitstrauma und Mutterkomplex; im letzten Kapitel stehen die Schuldgefühle der Hauptfigur im Zentrum. Aster bedient sich hier verschiedener Metaphern und psychologischer Theorien, allen voran derer Siegmund Freuds. Von "The Trauma of Birth", dem sich bereits die Eröffnungsszene hingibt, bis zum Ödipuskomplex, welcher sich im Konflikt mit der Mutter widerspiegelt: Beaus Furcht vor Sex steht in direktem Zusammenhang mit seiner Erzeugerin, und er muss erst zum Haus seiner Mutter zurückkehren, um ebendiese sowie seine Jungfräulichkeit zu verlieren.
So widmet sich "Beau is afraid" der Hintergrundgeschichte seines Protagonisten, hinterfragt dessen Beziehung sowie Umgang mit seinen Verwandten und visualisiert prägende Momente seiner Jugend. In Sinnbildern wird ausgedrückt, dass Beaus Vater unbekannt und nicht mehr als eine Zufallsbegegnung war, während die Kamera Mutter und Sohn fast durchgängig trennt. Nur in Rückblenden herrscht noch eine Verbindung zwischen beiden, zur Gegenwart unterstreicht ihren immerwährenden Konflikt hingegen eine bedrohliche Atmosphäre.
Zwar kann sich Beau der Gewalt seiner Mutter entledigen, die Gewissensbisse wachsen davon jedoch nur noch weiter. Eine letzte Sequenz entführt uns Zuschauende demnach einmal mehr in seinen Kopf, die Gedanken über eine Gerichtsverhandlung verbildlicht. Er spricht sich selbst schuldig - und bringt sich um. Im harten Kontrast zur Spekulation über seine Zukunft, trostlos und nihilistisch. Mit Beaus Ende endet auch der Film, die Erlösung bleibt aus.
Doch "Beau is afraid" ist ein Blender. Er ist trivial. An der Oberfläche prätentiös, im Kern hohl und leer. Umso mehr der Film den Mutter-Sohn-Konflikt aufbaut, desto mehr stürzt er in sich zusammen. Die Gesellschaftsstudie zu Beginn verkommt zum Platzhalter, die Zukunftsvision in der Mitte erweist sich als Red Herring. Auch das Gerichtsverfahren am Ende heuchelt seine Bedeutung nur vor: Ewig müssen wir dabei zuhören, wie längst demonstrierte Schuldgefühle erneut ausformuliert werden, obwohl das unausweichliche Ergebnis keinen Anlass zur Debatte bietet. Schließlich ist das große Geheimnis des Filmes, die Gefühlswelt seines Protagonisten, nichts was es zu verheimlichen lohnt.
All die psychologischen Theorien, mit denen sich Aster ganz selbstreferenziell in die Tradition eines Alfred Hitchcock stellen will - "Beau is a Freud" verweist auf sie, setzt sich mit ihnen aber kaum auseinander. Er scheitert nicht nur daran, sie anhand der Hauptfigur zu visualisieren, sodass auch jene sie verstehen, die Freud nicht gelesen haben, sondern versucht es gar nicht erst. Der Surrealismus des Werkes ergibt sich selten aus seinen Motiven, oft ist das Abstrakte bloß der Abstraktion wegen abstrakt. So ist Beaus fehlender Vater ein random Cock auf dem fucking Dachboden - und ja, das ist im Film nicht minder vulgär als meine Wortwahl -, während die Kamera im Finale kaum mehr als die Gesichter sich streitender Figuren abfilmen kann. Nur vermag selbst ein Joaquin Phoenix diese Leere nach drei Stunden Laufzeit nicht mehr mit Ausdruck zu füllen.
4 von 10 Enten.