
Bewertung: 4 / 5
Martin Scorsese ist neben Steven Spielberg der letzte große Hollywood-Visionär, der uns seit fast 50 Jahren regelmäßig mit Meisterwerken beschenkt. Was für Spielberg 1975 Der Weiße Hai war, stellte Taxi Driver ein Jahr später für Scorsese dar: nach ersten Achtungserfolgen das erste Opus magnum, dem im Verlauf der Jahrzehnte weitere folgen sollten. Während Spielberg vor allem zum Meister der Unterhaltung wurde, hat sich Scorsese stets den düsteren, von Religion, Geld, Macht und Korruption bestimmten Geschichten angenommen. Eine solche stellt auch sein 26. Spielfilm Killers of the Flower Moon dar, für den er zum sechsten Mal mit Leonardo DiCaprio und zum zehnten Mal mit Robert De Niro zusammengearbeitet hat.
Killers of the Flower Moon Kritik
Aufgrund der fortschreitenden Kolonisierung durch weiße Ansiedler verlassen die amerikanischen Ureinwohner des Osage-Stamms ihr angestammtes Siedlungsgebiet und erwerben ein Gebiet in Oklahoma südlich der Grenze zu Kansas. Nachdem dort Erdöl entdeckt wird und die Mitglieder des Stamms zu Reichtum gelangt waren, beginnen diese unter teils mysteriösen Umständen zu sterben...
Trailer zu Killers of the Flower Moon
Schauspiel auf allerhöchstem Niveau
Wie The Irishman, Silence und The Wolf of Wall Street, die vorherigen drei Filme von Scorsese, basiert auch Killers of the Flower Moon auf wahren Begebenheiten und realen Figuren. Allzu viel möchten wir trotzdem nicht über die Filmhandlung und die Geschichte der Osage-Morde verraten. Zwar legt Scorsese über den ersten und den Großteil des Films einnehmenden Teil die Wahrheit hinter den Morden nach und nach frei, doch gerade ohne jegliches Hintergrundwissen baut sich über weite Teile des Films enorme Spannung auf.
Obwohl Scorsese zum wiederholten Mal mit DiCaprio und De Niro zusammenarbeitet, sind beide Schauspieler die perfekte Wahl für ihre jeweilige Rolle. De Niro besitzt nicht nur optische Ähnlichkeit mit Rinderzucht-Betreiber William King Hale, sondern verkörpert dessen Boshaftigkeit gewohnt charismatisch. Dessen von DiCaprio gespielter Neffe Ernest Burkhart gleicht zu Beginn von Killers of the Flower Moon eher einem dümmlichen Tölpel, ehe er durch den Einfluss seines Onkels eine Wandlung vollzieht, die DiCaprio herausragend darstellt. Eine Oscar-Nominierung dürfte er für seine Leistung sicher haben, auch, weil er wie gewohnt so richtig schön ausrasten darf.
Die mit Ernest verheiratete und dritte Hauptfigur Mollie Burkhart wird dagegen von Newcomerin Lily Gladstone verkörpert, die bislang eher in kleineren Produktionen zu sehen war. Trotz etwas weniger Screentime als insbesondere DiCaprio überzeugt auch sie in ihrer Rolle und bringt gerade die körperliche Tortur ihrer Figur glaubhaft auf die Leinwand. In weiteren Rollen überzeugen zudem Brendan Fraser und Jesse Plemons, während vor allem Scott Shepherd als Ernest’s Bruder Bryan Burkhart ebenfalls stark aufspielt.
Historisch akkurate Darstellungen
Gladstone ist zudem indigener Abstammung, wie auch alle in indigenen Rollen zu sehenden Schauspieler. Es ist erfreulich zu sehen, dass die Zeiten, in denen weiße Schauspieler nicht-weiße Figuren gespielt haben, vorbei zu sein scheinen. Der Geschichte verleiht es zudem nicht nur mehr Glaubhaftigkeit, die in diesem Fall dargestellten indigenen Stämme werden zudem sichtbar gemacht. Dass Killers of the Flower Moon kulturelle Berater sowie Berater des Osage-Stamms zur Seite standen und Martin Scorsese während der Vorproduktion den Stamm besucht hat, um zu besprechen, wie man ihn in die Produktion des Films einbeziehen könnte, merkt man dem Film an. Gleichzeitig hätte man den indigenen Figuren noch etwas mehr Raum geben und gerade die Motivationen von manchen Figuren auf dieser Seite deutlich besser darstellen können.
Gedreht wurde Killers of the Flower Moon in Oklahoma und damit auf dem Land, auf dem die Ereignisse stattfanden, was der Darstellung der Ereignisse zusätzliche Glaubhaftigkeit verleiht. Mit einem Budget von 200 Mio. US-Dollar ist Killers of the Flower Moon der bislang teuerste in Oklahoma gedrehte Film. Darüber, ob der Film dieses hohe Budget benötigt hätte, lässt sich allemal streiten, die real gebauten Szenenbilder sehen jedoch durchweg fantastisch aus und lassen einen regelrecht in die dargestellte Zeit in den 1920er- und 1930er-Jahren eintauchen.
Neben der bildgewaltigen Kamera von Rodrigo Prieto ist zudem die fantastische Musik des im August verstorbenen und ehemaligen Bob Dylan-Gitarristen Robbie Robertson hervorzuheben, die zu Beginn zunächst epochal ausfällt, im weiteren Verlauf aber zur Verdichtung der Atmosphäre beiträgt. Überhaupt gleicht Killers of the Flower Moon aufgrund des gemächlichen Erzähltempos einem meditativen Filmerlebnis, in dem man versinken kann, wenn man sich auf die erschlagende Laufzeit von 206 Minuten einlässt.
Nicht ganz ein Meisterwerk
Die Länge ist auch das größte Problem an Killers of the Flower Moon. Obwohl wir uns während der knapp dreieinhalb Stunden nie gelangweilt haben, hätte Scorsese die Geschichte auch gut und gerne eine halbe Stunde kürzer fassen können. Gerade während der ersten zwei Drittel ließe sich einiges herausschneiden. Dass er umfassende Geschichten auf den Punkt inszenieren kann, hat er mit Goodfellas, The Wolf of Wall Street oder auch Casino nicht nur einmal bewiesen.
Und genau das unterscheidet Killers of the Flower Moon dann eben auch von diesen Filmen. Im Gegensatz zu seinen ganz großen Meisterwerken fehlen Killers of the Flower Moon die ikonischen Szenen, die sich in die Netzhaut einbrennen und die Taxi Driver, Goodfellas oder Casino zu absoluten Filmklassikern gemacht haben und die auch einen extrem hohen Wiederschauwert besitzen. So großartig die 206 Minuten von Killers of the Flower Moon auch waren, auf eine zweite Sichtung können wir allemal bis zum Heimkino warten.
Dennoch empfehlen wir, den Kinostart des Films wahrzunehmen und nicht zu warten, bis er bei Apple TV+ verfügbar sein wird. So ein monumentaler Film entfaltet sich einfach erst auf der großen Leinwand so richtig und Zuhause besteht bei einer Filmlänge von mehr als drei Stunden schnell die Gefahr, abgelenkt zu werden.
Killers of the Flower Moon besitzt alle Stärken, die einen Scorsese ausmachen. Die Handlung gleicht einem Gangsterfilm im Western-Gewand und erinnert daher nicht selten an vorherige Filme des Regisseurs. Auch in der Darstellung von Gewalt bedient er sich am Genre des Gangsterfilms. Wie bei auf wahren Begebenheiten basierenden Filmen üblich, liefert einem Killers of the Flower Moon am Ende des Films Informationen über das weitere Leben der wichtigsten Figuren. Wie dies hier umgesetzt wird, hatten wir so aber auch noch nicht gesehen und da weiß Scorsese wirklich positiv zu überraschen.
Fazit
Mit Killers of the Flower Moon bannt Martin Scorsese eine Zeit der amerikanischen Geschichte auf die Leinwand, an die leider viel zu selten aktiv erinnert wird. Mit seinem neuesten Film erbaut der Regisseur den indigenen Völkern Amerikas ein filmisches Denkmal, das aufgrund der Darstellungen der blutigen Seiten des amerikanischen Kapitalismus an andere Werke seines Œuvre erinnert. Auch dank fantastischer Schauspielleistungen ist Killers of the Flower Moon ein historisches Filmzeugnis, in dessen Darstellung man regelrecht versinken kann. Killers of the Flower Moon ist ein etwas anderer Gangsterfilm, den einzig seine kolossale Länge davor hindert, als absolutes Meisterwerk in die Filmgeschichte einzugehen.
Wiederschauwert: 60 %
