
Bewertung: 4.5 / 5
"Habe Lust, den Film ein zweites Mal zu sehen!"
Üblicherweise redet man auch bei Pressevorführungen unter Fremden nicht viel miteinander. Doch diese erste Reaktion unseres Sitznachbarn spiegelt in etwa das wider, was wir mehr oder weniger nach 188 Minuten gedacht haben: vielleicht nicht sofort, aber unbedingt! Denn, was für ein Brett an Film! Damien Chazelle hat als Autor und Regisseur ein Epos geschaffen, das seinesgleichen sucht. Vollkommen degeneriert und anstößig auf der einen Seite, und voller Liebe und Zärtlichkeit für den Moloch Hollywood auf der anderen. Wer sich in die Goldenen Zwanziger entführen lassen will, mit Musik, Tanz und allerlei Skurrilität, darf sich Babylon - Rausch der Ekstase nicht auf der großen Leinwand entgehen lassen!
Trailer zu Babylon - Rausch der Ekstase
Babylon Kritik
Die Zwanziger in Hollywood. Glamouröse, grenzüberschreitende Partys, die ersten Erfolge des Tonfilms - und überall die kleinen Sternchen und großen Stars, die aufsteigen, hell erstrahlen und verglühen. Wir erleben mit, wie Jack Conrad (Brad Pitt), Nellie LaRoy (Margot Robbie), Manny Torres (Diego Calva), Sidney Palmer (Jovan Adepo) und so manch andere ihren Weg gehen und teilweise auch Hollywood zerbrechen. Jener Traumwelt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, uns für paar Augenblicke im Leben zu verzaubern und in andere Welten zu entführen...
Ihr mögt Whiplash? Seid begeistert von La La Land? Dann lasst euch von Damien Chazelle erneut in seinen Bann ziehen. Ohne Übertreibung: Was für ein Film! Babylon - Rausch der Ekstase ist ein Überschwang an Obszönitäten und Obskuritäten, die bereits ab den ersten Minuten den Film dominieren und sich durch ganze 188 Minuten ziehen. Der Humor, teils zum Abgewöhnen unter der Gürtellinie, fügt sich dennoch geschmeidig in den Kanon des Films ein und ist womöglich ein Versuch, etwas mehr Slapstick zu wagen, der vor vielen Jahrzehnten die Menschen zum Lachen brachte.
Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, woher unsere Lust am Kino in seinen Urzeiten kommt. The Artist (2011) über die Stummfilmzeit, Once Upon a Time... in Hollywood (2019), das mit der Epoche Ende der 1960er spielt, jetzt Babylon - Rausch der Ekstase über die Goldenen Zwanziger und darauffolgenden Jahre ... mag es sein, dass gerade die Pandemie uns vor Augen führte, welche Kunstform uns entgleiten könnte und zu welchen faszinierenden Taten wir Menschen fähig sind? Etwas weniger pathetisch könnte man auch festhalten, dass die Zeit vielleicht einfach reif war für Chazelle, der schon mit La La Land bewies, wie viel Liebe diese Glitzerwelt neben allem Schein ausstrahlen kann.
Amüsant, dass neben Brad Pitt, der eine tragende Rolle spielt, auch erneut Margot Robbie an seiner Seit in einem Film über Hollywood zu sehen ist. Die beiden sind nicht die einzigen Hauptfiguren, aber doch die markantesten, wobei mit unfassbar sicherem Händchen das Casting bis in die Nebenrollen harmoniert und perfekt ist. Diego Calva als aufstrebender mexikanischer Laufjunge, Jean Smart als Journalistin Elinor St. John, Flea (Red Hot Chili Peppers) oder Tobey Maguire ... Babylon ist wie eine Palette Überraschungseier, die alle paar Minuten etwas Neues enthüllt. Vier tragende Schicksale führen durch den Film, wobei die um Sidney Palmer leider etwas an den Rand gedrängt wird. Jedoch hält jener den Film musikalisch wie Kleber zusammen und verleiht ihm eine überaus persönliche Note.
Babylon - Rausch der Ekstase wirkt gegen Ende etwas zu lang, man spürt Ermüdungserscheinungen, auch wenn oder gerade weil der Film durchweg over the top ist. Aber eine Szene gegen Ende, die sich an jeden Filmfan auf der Welt richtet, rührt das Herz ungemein und lässt diese Meckerei nahezu verstummen. Chazelles Epos, das über mehrere Jahrzehnte angesiedelt ist, ist vulgär, elegant, trist, lustig, menschlich, alles zugleich, und eine großartige und überraschende Ode. Once Upon a Time... in Hollywood hoch 10!
Wiederschauwert: 100%
