Bewertung: 4 / 5
Die kleine Fortsetzung von "There Will Be Blood".
Robert Oppenheimer als manische, dominante und zum Schluss ausgestoßene Symbolfigur einer neuen US-amerikanischen beziehungsweise globalen Zeitenwende, Atomenergie und Atomwaffen als das neue Erdöl. Oppenheimer, ein Kopf der Naturwissenschaftlichkeit und des Fortschritts im aufstrebenden 20. Jahrhundert und zugleich ein Vertreter des zeitentrückten Lebensgefühls der Pionierzeit, wenn man ihn nicht universitären Hörsälen findet, dann auf dem Pferderücken quer durch die Prärie oder auf seiner Ranch in New Mexico. In eben dieser Prärie New Mexikos wird zur Erforschung der Atombombe wie zu Zeiten des Gold- oder Ölrausches eine Stadt aus dem Boden gestampft, wie Plainview errichtet Oppenheimer sich und seiner Gemeinde sogar einen Glaubensturm, an dem die Bombe wie eine Glocke hängt und nach der Explosion von einer großen Feuerwolke eingehüllt wird.
Trailer zu Oppenheimer
Ludwig Göranssons anhaltend dissoziativer Score durchkreuzt die Szenerien, Dialoge und Charaktermomente mit treibenden Klangteppichen, schrillen Streichern und lautem Gestampfe, kombiniert mit Jennifer Lames teilweise enervierenden, hochfrequenten oder unsauberen Schnitten stemmt sich der Score gegen die behauptete Heldengeschichte und entlarvt sie als unglaubwürdig und entsetzlich. Gleichzeitig erhebt der Score den einfachen Dialogthriller (inklusive einem Atombomben-Setpiece) mit seinen Klangteppichen zu einem National- und Weltenepos, wortwörtlich zu schön, um wahr zu sein, als Zuseher traut man diesem Braten gerade deswegen nicht.
Das Thrillerhandwerk beherrscht Nolan weiterhin perfekt, "Oppenheimer" hat ein flottes Tempo und hält die Spannung hoch, die 180 Minuten an Laufzeit vergehen wie 120 Minuten. Diverse Sequenzen wühlen auf oder sorgen wie oben geschrieben für Entsetzen, im Kern versteht sich "Oppenheimer" eben auch als Horrorgeschichte, insbesondere im letzten Drittel wird Robert Oppenheimer in Halluzinationen von seinen Taten verfolgt. Nolan verzichtet auf großangelegte Schreckensbilder, weil sich dieser Schrecken auf Cillian Murphys Gesicht wiederspiegelt.
Cillian Murphy liefert eine phantastische Performance ab, hat eine starke Emily Blunt an seiner Seite und Robert Downey Jr. spielt als "Antagonist" so gut wie ewig nicht mehr. Im Allgemeinen versammelt Nolan hier einen Cast voller Schauspieler mit Rang und Namen, alleine das zu sehen, macht schon Spaß, auch weil Nolan mit der Masse an Charakteren und Schauspielern gekonnt jongliert, ohne Verwirrung zu stiften.
Darüberhinaus war es für mich als Chemiker speziell eine große Freude, all diese naturwissenschaftlichen Genies (Robert Oppenheimer, Niels Bohr, Albert Einstein, Werner Heisenberg, Enrico Fermi, ...) einmal zusammen in einem Film auf der großen Leinwand zu sehen.