Bewertung: 4 / 5
Wer kennt ihn nicht? Den griesgrämigen, alten Sack, der ausgerechnet im Haus nebenan wohnt… ich hatte zu Kindertagen einen Nachbarn, der jenem Ove erschreckend ähnelte. Er war dieser typische alte Kauz, der uns Kinder "terrorisierte", herüber brüllte, wir sollten endlich leise sein. Unsere Definition von "Gartenpflege" war ein wildwüchsiger Dorn, der durch die akkurat geschnittene Hecke, quer über den englischen Rasen hinweg im Auge jenes Nachbarn kratzte. Beizeiten flog ein Steinchen über selbige Hecke und platschte in unser Tümpelchen, mit dem Ziel eines der darin lebenden, laut quakenden Frösche zu massakrieren. Auch unsere Katze, die sich ihm auf wundersame Weise hingezogen fühlte, wusste mit seiner Antipathie wenig anzufangen und glaubte wohl, er mache all die Zisch- und Pfeifgeräusche nur, um sie anzulocken.
Lange Rede kurzer Sinn, als ich kürzlich Ein Mann namens Ove sah, kamen mir all die Erinnerungen an meine Kindheit wieder hoch. Ove ist genau diese Person, der man als Nachbarn wünscht, vom Blitz erschlagen zu werden. Er liebt die Siedlung, in der er lebt. Warum? Weil es ein kleines abgekapseltes Reich ist, in dem es für alles und jeden Regeln gibt. Ein Schilderwald am Rande der Siedlung weist darauf hin, was alles verboten ist. Autos: Verboten. Fahrrad abstellen: Verboten. Freilaufende Hunde: Verboten. Das geht bis zu solch abstrusen Regeln, wie jene, dass jeder im Besitz einer Leiter sein muss. Für einen pedantischen, notorischen Querulanten ein wahres Paradies.
Trailer zu Ein Mann namens Ove
Dieses idyllische, regelkonforme Leben gerät für Ove aus den Fugen, als sein Nachbar – ehemaliger Mitstreiter und dennoch Kontrahent – erkrankt und an den Rollstuhl gefesselt wird, pflegebedürftig und unfähig weiterhin als "Oberhaupt" der Siedlung zu agieren. Das geregelte Machtverhältnis droht gänzlich zu kippen, da Ove zu allem Überfluss durch Beamte der Stadt und neue Nachbarn, die von Ordnung keine Ahnung zu haben scheinen, das ordentliche Leben zur Qual gemacht wird.
All dieser geballte Ärger erleichtert letztlich Oves Entscheidung, sich nach dem Tod seiner geliebten Frau, selbst das Leben zunehmen (zumindest versucht er es) – selbstverständlich nicht, ohne vorher seinen Telefonanschluss pflichtbewusst gekündigt zu haben.
Die Rahmenhandlung von Ein Mann namens Ove ist grundsätzlich ziemlich simpel. Was jedoch ist der Grund, dass dieser Film so gut funktioniert? Warum mag ich Ove, obwohl ich seine Charakterzüge verabscheue? Wieso gewinnt er meine Sympathie und mein Mitgefühl? Der Grund liegt in der Art und Weise, wie der Film Oves Geschichte erzählt.
Er nimmt sich Zeit – lang genug um Oves Leben zu beleuchten und dennoch kurz genug, um nicht langweilig zu werden. Die Geschichte der Gegenwart, in der Ove seine neue hochschwangere Nachbarin kennenlernt, die sich von seinen Allüren und seinem emotionalen Schutzschild nicht einschüchtern lässt und durch ihre unorthodoxe, liebenswerte und teilweise tollpatschige Art, sein Herz erobert.
Zwischendurch wird Oves Charakterzeichnung durch Rückblenden in die Kindheit, seine Jugend und die Zeit als junger Erwachsener weiter entwickelt. Man lernt die Beziehung zu seinem Vater kennen, und wie er seine Frau kennenlernt. Nach und nach erfährt man, welche Ereignisse und Schicksalsschläge ihn zu dem machten, der er "heute" ist.
Gespickt wird die Story durch eine Prise Humor, der teilweise recht schwarz daher kommt. Auf der anderen Seite werden verschiedene Schicksalsschläge kompromisslos und brutal inszeniert – ich musste das ein, oder andere Mal schlucken, ob der Intensität, die dem Film jedoch nicht schadet. Alles in allem ist hier ein kleines Schwedisches Meisterwerk gelungen, das mit seinen knapp 2 Stunden Laufzeit viel für`s Herz, eine schöne Geschichte über Menschlichkeit und Freundschaft, wenn nicht sogar eine Ode an das Leben selbst, liefert.
Nach diesem Film wünschte ich, ich hätte als Erwachsener einmal mit unserem Nachbarn von früher sprechen können. Vielleicht gibt es da draußen so manche verbitterte, durch das Leben gezeichnete, Person, die einfach mal dankbar ihre Geschichte erzählen würde, wenn man sie nur fragen würde.
