Bewertung: 3 / 5
Ist ein Film unvollständig, wenn er Dialoge zeigt, ohne dass wir deren Worte hören? In Anbetracht der Existenz von Stummfilmen - die keinesfalls als "unvollständig" zu bezeichnen sind - wohl kaum. Und doch impliziert "Cannibal" von Marian Dora genau das: Am Anfang erweist sich nur jene Figureninteraktion als zielführend, als erfüllend - eben vollständig -, deren Gesprächsinhalte auch an uns Zuschauende weitergegeben werden. In denen Bild und Ton eine Einheit bilden. Allen anderen, gescheiterten Versuchen hingegen fehlt die auditive Antwort auf abgefilmte Lippenbewegungen. Wir sehen zwar Gespräche, doch hören nur sanfte Klaviermusik - eben weil die Treffen für den Protagonisten ergebnislos bleiben, fehlt auch den Szenen sinnbildlich ein Stück Film.
Leer ist "Cannibal" deshalb nicht: Gibt das Schweigen der Figuren Raum für ihre Handlungen, verbündet sich die Dialogärme des Werkes mit der eigenwilligen Ästhetik Marian Doras. Der Regisseur versteht es, das Gezeigte bereits über die Musik zu kontrastieren und so auch dem Abgründigen eine andächtige Stimmung zu verleihen; oder dessen Wirkung zu verstärken, indem er erschreckende Szenen durch anschwellendes Rauschen untermalt. Bewusst amateurhaft wirkende Aufnahmen und eine absichtlich schlechte Bildqualität - ganz im Stile der Kamera, die der Protagonist selbst verwendet - treten einer ausgefeilten Bildkomposition entgegen, die versiert betont, was dem Film zentral ist.
Denn "Cannibal" ist ein Film über Triebhaftigkeit. Er nimmt sich dem Animalischen im Menschen an, verbindet roh inszenierte Sexszenen mit den Lauten von Tieren. Betont Haut, fokussiert auf Münder, gibt sich Körperlichkeit hin. Wieder und wieder schmiegt sich die Kamera an die Darsteller, hält stur deren Treiben fest. Ohne sich je zu einem normativen Kommentar hinreißen zu lassen: Marian Dora verfilmt den Fall vom Kannibalen von Rotenburg, er bewertet ihm nicht.
Und das merkt man "Cannibal" an.
6,5 von 10 Enten.