Bewertung: 4 / 5
Am Anfag war "Casino Royale". Martin Campbell vollzog einen radikalen Neustart, warf Altlasten über Bord und präsentierte mit Daniel Craig einen neuen, frischen Bond. Für mich stellt Campbells Werks ein meisterhaftes Agentendrama dar. Nach Marc Fosters missglücktem "Ein Quantum Trost" folgte Sam Mendes mit "Skyfall". Mendes führte Campbells Charakterstudie fort, schlug jedoch gleichzeitig die Brücke zurück zum klassischen Bond-Stil, mit "Spectre" geht er den klassischen Weg noch weiter. Die zahlreichen negativen Kritiken kann ich allerdings nicht so recht verstehen. Klar, wenn man "Spectre" mit "Casino Royale" vergleicht, kann der Film als klassischer Agenten-Actionstreifen nur verlieren, aber einen Vergleich mit "Skyfall" hält er locker Stand.
Das fängt schon mit der großartigen Startsequenz in Mexiko City an. Bond, der ruhig durch die feiernden Massen läuft und am Ende auf dem Dach landet. Ich glaube, ich habe noch nie jemanden so cool und lässig laufen sehen wie Bond auf dem Dach! Sam Mendes hat ein gutes Gespür für Actionszenen, er weiß genau wie die Schauspieler handeln sollen, wie er die Kulissen mit einbezieht, wann er welche Musik und in welcher Lautstärke einsetzt und wie er die Musik mit dem Bild- und Tonschnitt kombiniert. Jede der Actionszenen (Mexico City, die Kämpfe gegen Bautistas Mr. Hinx, London,...) in ein kleines Highlight für sich, teilweise hatte ich das Gefühl, dass Craig erst hier wirklich vollkommen zu Bond reift. Eine weitere Stärke der Actionszenen ist die Tatsache, dass Mendes nicht einfach nur zwischen ruhigen und actiongeladenen Szenen wechselt. Stattdessen verbindet er sie durch eine geschickte Kombination aus Bild- und Tonschnitt, er schafft einen fließenden Übergang und erzeugt somit ein Gefühl von einem größeren Ganzen.
Trailer zu Spectre
Wenn man den Actionszenen oder Spectre allgemein etwas vorwerfen kann, dann ist es der Umstand, dass der Film teilweise zu Bond-klassisch gehalten ist. Léa Seydoux als Bondgirl Madeleine Swann kommt zu 80-90% nicht über die typische Rolle des reinen Love Interests oder der Jungfrau in Nöten hinaus. Um ihren Charakter und die Beziehung zu Bond glaubwürdig darzustellen, wird Léa Seydoux zu wenig Zeit gewidmet. Allerdings ist dies kein Einzelfall, denn auch "Ein Quantum Trost" und "Skyfall" hatten Probleme, ein wirklich bedeutungsvolles Bondgirl auf die Leinwand zu bringen. Bisher ist das nur "Casino Royale" mit Eva Green als Vesper Lynd gelungen. Schön fand ich dagegen Léa Seydouxs Rolle im finalen Showdown. Dort tritt sie zwar nur passiv auf, ist nichtsdestotrotz aber ein wichtiges Handlungselement, welches der Antagonie zwischen Bond und Oberhauser mehr Tiefe verleiht. Auch Monica Belluccis Kurzauftritt hat mir sehr gut gefallen: diese Andeutungen und Versuche eines Liebesspiels, eine Gratwanderung, die jeden Moment zu kippen droht. Gab es so eine Szenen jemals in einem der früheren Bondfilme?
Der Ansatz eines klassischen Bonds bringt noch zwei weitere Nachteile mit sich. Einerseits schienen die Drehbuchautoren es für eine coole Idee gehalten zu haben, mehrere Szenen mit Witzen zu untermalen. Oft funktioniert das auch super, manchmal habe ich mir jedoch einen dezenteren Einsatz gewünscht. Dave Bautista gibt einen hervorragenden Handlanger-Schurken ab, bei dem selbst Bond an seine Grenzen gerät und ihn nicht mit fairen Mitteln besiegen kann. Wieso musste man seinen Abgang dann mit einem gewollt witzigen "Scheiße!"-Ausruf kaputt machen? Das passte überhaupt nicht zu seinem Charakter, sein Abgang wird ihm so auch nicht wirklich gerecht.
Andererseits verkommt Bond in manchen Szenen zu einem Mr. Unverwundbar, darf mit seinem Gewehr spazieren gehen, während die Gegner wie Schießbudenfiguren umfallen. Auch dies passte nicht zu Bond dargestelltem Charakter in "Spectre" und der allgemein düsteren Atmosphäre.
Auf Bonds Charakter bezogen, knüpft Sam Mendes an die bisherigen Craig-Bondfilme an und führt die Charakterstudie fort. Wenn man die wenigen oben erwähnten Ramboeinlagen ignoriert, darf Bond auch in "Spectre" häufig Mensch sein, er ist mehr als nur ein einfacher Superagent. Bond wird wieder mit persönlichen Problemen und seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, physische und psychische Grenzen werden ausgelotet. Wie oben schon erwähnt, wurden die Kämpfe mit Mr. Hinx in dieser Hinsicht perfekt umgesetzt, auch Christoph Waltz Oberhauser darf dabei oftmals mitspielen.
Allgemein bin ich mehr und mehr von den Craig-Bondfilmen fasziniert, da sie als zusammenhängende Reihe funktionieren. Eigentlich hatte ich nur mit "Skyfall"-Verknüpfungen gerechnet, aber dass Mendes sogar den Bogen zurück zu "Casino Royale" und "Ein Quantum Trost" schlägt, hatte ich nicht erwartet und wurde dementsprechend positiv überrascht. Die Art und Weise, wie Mendes diese Verknüpfungen präsentiert, wie er die Organisation Spectre einbaut und welche Rolle Christoph Waltz Oberhauser in alledem spielt, machen die Geschichte erst recht interessant. Ja, die ruhigen Szenen haben ihre Längen, aber sie waren für mich niemals uninteressant, sondern hatten immer eine weiterführende Aussage. Ich bin gespannt, wie es nach "Spectre" weitergeht, welche Geschichte dort erzählt wird und welches Schicksal die Charaktere erleiden werden! Schade, dass Mendes als Regisseur aufhört...
Kann Christoph Waltz eigentlich jemals keinen guten Schurken spielen? Was er hier auf die Leinwand bringt, ist abermals fantastisch, wobei er zudem vom perfektem Timing profitiert, mit dem Mendes Oberhauser in Szene setzt. Zu Beginn sind es nur Andeutungen, vage gehaltene Momente, die Oberhauser schnell in Vergessenheit geraten lassen. Sein erster richtiger Auftritt scheint harmlos, ein simpler Dialog. Welch perfides Spiel Oberhauser treibt, wird dem Zuschauer (und gleichzeitig auch Bond) erst klar, wenn es schon zu spät ist. In Folge dessen liefern sich Craig und Waltz als Bond und Oberhauser einen ordentlichen Schlagabtausch, welcher die Entwicklung beider Charaktere voranschreiten lässt. Dahingehend überzeugt der Showdown auch weniger wegen der Schauwerte, sondern mehr wegen der charakterlichen Auseinandersetzung.
Vor lauter Bonds und Oberhausers sollte man natürlich nicht die sonstigen Charaktere vergessen. Naomi Harris als Eve Moneypenny tritt im Gegensatz zu "Skyfall" in den Hintergrund, was ich schade finde, aber auch verstehen kann. Miss Moneypenny ist jetzt schließlich nicht mehr im Außendienst zusammen mit Bond, sondern eben als Sekretärin tätig. Ausgeglichen wird dies jedoch durch Ben Wishaw als Q, der in "Spectre" einiges mehr zu tun hat als in "Skyfall". Des Weiteren darf Ralph Fiennes zeigen, was er als M so drauf hat. An die Umstellung von Judi Dench auf Ralph Fiennes muss ich mich zwar erst noch gewöhnen, Fiennes macht nichtsdestotrotz einen gelungenen Job. Pluspunkte sammelt M ebenfalls als zentrale Figur in dem Handlungsstrang des Films, der sich durch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Überwachungsstaat und dem Drohnenkrieg auseinandersetzt. Von Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten kann man halten, was man will, aber sie sind immer noch zuverlässiger als Drohnenangriffe. Ein Geheimagent ist stets vor Ort, sieht den Zielen in die Augen und schätzt die Situation ein. Die Lizenz zum Töten ist gleichzeitig auch die Lizenz zum Nicht-Töten.
Spectre wird übersetzt mit Phantom bzw. Gespenst und als solches kann die Organisation im Film als Sinnbild für die Digitalisierung der heutigen Zeit fungieren. Totale Transparenz wird gefordert, Spectre und Oberhauser sind überall und nirgendwo. Es passt einfach perfekt, dass man Waltz lange Zeit nicht zu Gesicht bekommt. Ebenso wie es perfekt passt, dass Q uns nun als Kind des digitalen Zeitalters und Computerfreak präsentiert wird. Q sowie Bond und M (Dench & Fiennes), zwei Typen aus alter Schule, kämpfen gegen ihren bösen, digitalen Bruder im Geiste. In "Skyfall" sind Bond und Co. noch vor dem Gespenst geflohen, aber jetzt bekämpfen sie es. Vor allem Bond stellt das Analogon zu Oberhauser dar, denn auch er geht als Gespenst umher. Wie z.B. in Skyfall, als er von den Toten zurückkehrte. (Indirekt ja sogar durch jeden neuen Bonddarsteller.) Unglaublich wie viel Sinn die Craig-Reihe im Nachhinein ergibt und sich alles zusammenfügt!
Fazit:
Sam Mendes hat mit "Spectre" nicht nur einen guten James Bond Film abgeliefert, sondern auch die Geschichte des Craig-Bonds erfolgreich weitererzählt. Die Charakterstudie, welche in "Casino Royale" ihren Ursprung hat, führt Mendes sinnvoll fort und kombiniert sie mit dem klassischen Inszenierungsstil der alten Bondfilme. Letzteres bietet Angriffsfläche für Kritik, dementsprechend bleibt "Casino Royale" weiterhin ungeschlagen. Das Niveau von "Skyfall" kann "Spectre" jedoch ohne Mühe halten. Durch die Einführung der Organisation Spectre werden die einzelnen Craig-Bondfilme zu einer direkt aufeinander aufbauenden Geschichte vereint, was zudem interessante Fragen für kommende Filme aufwirft. Ich bin gespannt, welchen Stempel der neue Regisseur der Reihe aufdrücken kann und finde es schade, dass wir Daniel Craig bald als James Bond verlieren. Er mag keine Lust mehr auf Bond haben, in "Spectre" sieht man davon jedoch nichts!
8/10 Punkte für "Spectre" als Einzelfilm.
9/10 Punkte wegen der Bedeutung für die gesamte Reihe.
Macht insgesamt 8,5/10 Punkten.