Bewertung: 4 / 5
Achtung: Das ist eher ein Vergleich der beiden Vinterberg Filme "Das Fest" und "Die Jagd" als eine astreine Besprechung des Filmes die Jagd. Dazu muss ich sagen, dass es etwas her ist, dass ich beide Filme mal gesehen habe, das Fest nun schon locker mal 15 Jahre, dennoch versuche ich es. Sollten sich hier Fehler einschleichen, gerne im Kommentar-Feld anmerken :-)
Als Vinterberg damls mit "Das Fest" Dogma salonfähig machte, erzählte er gleichzeitig eine Geschichte über sexuellen Kindesmißbrauch an sich und der Gesellschaft, wie sie damit umgeht. Das war eindringlich, teilweise schwer zu ertragen, teilweise sehr platt, aber immer mitreissend, da man mitten im Geschehen drin war - und das mit minimalsten Mitteln.
Die Jagd ist nun sein nächster Film zum gleichen Thema, oberflächlich mit den gleichen Schwerpunkten, nur halt diesmal aus der Sicht des gesetzten Filmemachers, der inszenatorisch keine Sperenzchen mehr machen muss: Eine Geschichte über einen vermeintlichen Kindesmißbrauch und der Umganges der Gesellschaft damit.
Nur könnte es inhaltlich auf den ersten Blick gar nicht unterschiedlicher sein in der Geschichte und der Erzählung an sich. Doch ist Die Jagd tatsächlich eine späte Abkehr vom Fest?
Das Fest erzählt die Geschichte des runden Geburtstages des Patriarchen einer wohlsituierten Familie, welches pompös gefeiert werden soll. Die entfremdeden Kinder treffen ein, und später erzählt ein Sohn vor allen Gästen freimütig, wie er und seine mittlerweile verstorbene Schwester immer wieder als Kinder vom Vater mißbraucht wurden. Er wird ignoriert, das Fest (d.h. alle Gäste) wird unvermindert fortgeführt. Der Sohn wiederholt die Anschuldigungen vehement und wird immer stärker vom eigenen Bruder angegriffen, die Fest-Gesellschaft feiert einfach weiter und ignoeriert den Störenfried.
Die Jagd handelt von einem ehemaligen Gymnasiallehrer, der mittlerweile notgedrungen in einem verschlafenen Nest als Kindergärtner arbeiten muss. Er wird irgendwann fälschlicherweise von einem Mädchen beschuldigt, sie angegangen zu haben, daraus entspinnt sich dann eine Hexenjagd sondergleichen.
Die Unterschiede liegen auf der Hand: Auf der einen Seite findet der Geschädigte kein Gehör, auf der anderen Seite eskaliert aus einer naiven Aussage eines kleinen Mädchens eine Lawine der Empörung, die tief hinter die beschauliche Kulisse einer Dorfgemeinschaft blicken läßt.
So wirkt es auf den ersten Blick, als hätte Winterberg nach Jahrzehnten eine Art Anti-These zum Fest verfasst, da das Fest sehr plakativ war. Die Jagd soll nun leiser, subtiler daher kommen und die Fehler des erstgenannten konter karieren. Doch das ist nur die halbe Miete.
Im Grunde genommen ist die Jagd nämlich eine logische Fortführung des Festes mit den Mitteln eines reiferen Regisseurs, der seine Ansichten eben nicht geändert hat, sondern mittlerweile die reiferen Fragen stellt: Ging es beim Fest darum, dass die Menschen wie Lemminge sind, und aus Bequemlichkeit die Augen verschliessen, geht es jetzt darum, diese Fehler nicht mehr zu begehen, und den Kindern zuzuhören, dabei aber vor lauter Aktionismus nicht wirklich zuzuhören sondern den eigenen inneren Dämonen nachzugeben. Dabei ist das Fest neben der Mißbrauchsgeschichte gleichzeitig auch eine Geschichte über Faschismus und falschen Götzenanbetungen. Die Jagd hingegen ist naturalistischer und eher eine Sozialstudie über Existenzen am Rande und wie dann sich ein Mob organisieren kann. Auch hier also eine Allegorie auf den faschismus, nur subtiler und differenzierter. Ähnlich zur Novelle Andorra wird der Protagonist in eine Rolle gedrängt, aus der er sich aber - im gegensatz zur Novelle - stoisch mit eigener Kraft irgendwie zu retten vermag - oder etwa doch nicht?
Die Jagd macht auch nicht den Fehler, zu moralisch zu sein oder irgendwen als astreinen Bösewicht auszumachen, dazu ist der Film einfach zu reif, das ist die gesichtslose Menge, die sich schon ein Urteil gebildet hat. Selbst das Mädchen wird zwar als kleiner Lolita-Verschnitt präsentiert, aber nie als böse dargestellt, sie gerät in dieser Erwachsenenwelt zwar auch irgendwie zwischen die Fronten, aber zum Glück - und das muss ganz klar gesagt werden - nie zwischen die Mühlen.
Und wo man beim Fest fassungslos einfach weiter schaute bis zum bitteren Ende erwischt man sich bei der Jagd immer wieder bei Gedanken wie "Was hättest du getan?"
Und die Antwort fällt sehr erschreckend aus: "Zum Schutze deines Kindes bist du einfach bereit ihm zu glauben und ein fremdes Leben zu zerstören, als den Fehler zu begehen, deinem Kind nicht zu glauben, und sich dann Jahre später heraus stellt, dass da doch was war!"
Wie schon angedeutet bilden beide Filme aber eine Einheit und Die Jagd macht auch in erster Linie da weiter, wo das fest aufhörte. So ist immer noch ein sozialer Kommentar aus beiden Filme ableitbar: Der Patriarch im Fest ist unantastbar, weil stinkreich und noch voll im Saft, es scheint gewisse Abhängigkeiten zu geben, so dass die Leute (inkl. dem Bruder des Protagonisten) einfach mal alle Anschuldigungen überhören. Der Fall des Monsters resultiert letztendlich aus Innen heraus, als die Hunde des Faschismus ihre eigenen Herren fressen. Der Kindergärtner in der Jagd ist ein Eigenbrötler, von dem niemand abhängig ist, selbst sein Sohn lebt bei der Ex-Frau, und der am rande des Existenzminimum lebt. Da ist es ein Einfaches, diesen Nichtsnutz zu opfern. Im Grunde genommen ist beides eine Einheit.
Das Fest ist ein Schalg in die Magengrube in innovativer Verpackung: 8 Punkte
Die Jagd ist eine kontemplative Weiterführung derselben Themen, oberflächlich eine Antithese, aber im Grunde genommen das Pferd nur von hinten aufgezäumt: 8 Punkte
Und beiden Filmen ist gemein: Zuhören, aber richtig... und Konsequenzen, aber die richtigen