
Bewertung: 5 / 5
Ich weiß nicht, zum wievielten Mal ich den Untergang der Titanic in James Camerons gleichnamigen Film am vergangenen Wochenende miterlebt habe. Eines weiß ich jedoch sehr genau: Das Interesse an dem ohnehin schon gleichsam sagenumwobenen wie spannenden Kapitel der Passagier-Schifffahrtsgeschichte wurde bei mir 1997 im Kino geweckt. Die Zeitungen schrieben damals, die Titanic sei nie so "realistisch" auf der großen Leinwand gesunken. Eine Kombination aus Kulisse, die dem Original in Größe und Detailgrad beinahe ebenbürtig war, und State of the Art Computereffekten sollte das Drama so greifbar, wie nie zuvor machen.
Für viele war der Film Titanic in erster Linie eine Liebesgeschichte, verpackt in einer der bekanntesten Katastrophen der modernen Schifffahrt. Für mich Technikfreak war es aber der Untergang selbst, diese spektakulären Effekte, das menschliche Versagen und die Aneinanderkettung, von Ereignissen, die letztlich zur Katastrophe führte.
Trailer zu Titanic
Würde ich diesen Film heute ganz objektiv bewerten, würde er gar nicht mal so gut wegkommen. Die Computereffekte sind meiner Meinung nach sehr schlecht gealtert – gerade bei Tage sehen die Schiffsaufnahmen unglaublich angestaubt aus und die animierten Figuren bewegen sich sehr unnatürlich. Nach wie vor empfinde ich Kate Winslet als krasse Fehlbesetzung, insbesondere durch ihren nicht wirklich "damenhaften Gang" schon gleich zu Beginn des Films. Emotional konnten mich auch alle anderen menschlichen Tragödien an Bord mehr packen, als jene von Jack und Rose. Schauer der Ehrfurcht und des Entsetzens überkamen mich eher bei solchen Szenen, in denen z.B. der Schiffsbauer Thomas Andrews richtig feststellt: "Sie wird sinken. Das ist eine mathematische Gewissheit", oder der Selbstmord des zweiten Offiziers William Murdoch, oder als Captain Smith wortlos auf die Brücke zurückkehrt um mit seinem Schiff unterzugehen, oder der "Abgesang" durch die Bordband.
Nicht zuletzt kann ich mich auch nicht an die lobenden Worte anschließen, die 3D-Konvertierung sei so überragend gut gelungen. Zum einen wirken dadurch sämtliche Totalen des Schiffs sehr modellhaft, was der angestaubten Computergrafik noch weiter schadet, aber viel schlimmer empfand ich die Tatsache, dass man das Gefühl hat, die Protagonisten würden in den Dialogen an einander vorbeischauen. Dies empfand ich als extrem störend und die nächste Sichtung wird dementsprechend wieder in gutem alten 2D stattfinden.
Wie also kann es sein, dass ich bei all diesen Kritikpunkten dennoch zu einer so guten Wertung komme?
Es ist tatsächlich das Gesamtpaket, was mich fasziniert. Kaum ein Film hat mich bereits damals 1997 dazu bewegt, ein zweites Mal ins Kino zu gehen. Kaum ein Film hat mich so beschäftigt. James Cameron schuf damals ein Werk, das mich fesselte, das mich mitriss, das damals etwas zeigte, was man so nie zuvor so intensiv auf der großen Leinwand zu sehen bekam. Brachial, brutal, atemberaubend, wunderschön.
Dieses riesige Schiff, das nach der RMS Olympic bekanntlich das zweite seiner Art war und anders, als oft angenommen, nicht ansatzweise die Leistung erbringen konnte, einen neuen Geschwindigkeitsrekord für die Atlantiküberquerung aufzustellen – nein, es sollte einfach das luxuriöseste sein, was jemals auf einem Ozeandampfer zu bewundern war. Die Maschinenleistung wurde bewusst niedrig gehalten, da die Vibration die Gäste der ersten Klasse hätte verärgern können. Um der Gefahr von Eisbergen zu entgehen wählte der Captain sogar eine etwas südlichere Route, als normal.
Alles in allem hielt sich James Cameron sehr dicht an den Fakten und den wahrscheinlichsten Ereignissen, die die Katastrophe begleiteten. Nachdem ich den Film zum zweiten Mal im Kino gesehen hatte wollte ich mehr wissen. Mein Wissensdurst war geweckt, so dass ich zunächst das Buch Die letzte Nacht der Titanic von Walter Lord aus dem Jahr 1955 las. Dieses auf Augenzeugenberichten basierende Buch diente später auch als Vorlage für den gleichnamigen Film von 1958 und gilt auch heute noch als detaillierteste Zusammenfassung von Augenzeugenberichten. Nicht umsonst dienten Buch und Film auch James Cameron als Inspiration.
Was zwar durch vereinzelte Augenzeugen Erwähnung fand, aber im Abschlussbericht der britischen Untersuchungskommission dementiert wurde, war die Tatsache, dass die Titanic beim Untergang in zwei Teile gebrochen war. Der Film Hebt die Titanic von 1980 ging demzufolge auch noch davon aus, dass eine Bergung des unzerstörten Schiffs möglich sei. Erst nach der Entdeckung des Wracks 1985 konnte der Bruch zweifelsfrei bewiesen werden – und James Cameron inszenierte dieses Spektakel auf beeindruckende Art und Weise.
Viele, der von Cameron inszenierten Ereignisse, unterliegen der Spekulation, manche wurden der Dramaturgie wegen "beibehalten". So ist Murdochs Suizid, sowie der letzte Auftritt der Bordband höchst umstritten. Wahrscheinlich ist das Schiff unter der Wasserlinie zerbrochen (man vermutet, dass sich Risse im Aufbau bildeten, als der Kiel – sozusagen das Rückgrat des Schiffs - durch das Gewicht des vollgelaufenen Vorschiffs nach unten gebogen wurde. Durch die Risse strömte Wasser in das Heck, was dazu führt, dass die Bruchstelle wieder nach unten gedrückt wurde. Dadurch brach der Kiel nach unten auf) und es wird auch vermutet, dass die Maschinen erst nach dem Ausweichmanöver auf Rückwärtslauf gestellt wurden, da dieser Vorgang an sich zu lange gedauert hätte. Viel mehr nimmt man an, dass der leitende Brückenoffizier Murdoch ein lehrbuchmäßiges "Porting-Around-Manöver" (links-rechts) durchführen ließ, das der Titanic letztendlich mehr Zeit für eine Evakuierung einräumte. Kurs halten kam aufgrund der Unklarheit über die Entfernung zum Eisberg nicht in Frage, ein reiner Ausweichkurs nach links hätte wahrscheinlich das gesamte Schiffs der Länge nach beschädigt, zu Schlagseite und schnellerem Sinken geführt.
Wie dem auch sei, der geneigte Leser merkt, dass mich diese Tragödie sehr beschäftigte. Auch heute fasziniert mich dieses dramatische Unglück auf beeindruckende Weise. Diese sagenumwobene Geschichte um dieses Schiff, all die Geheimnisse, die die Titanic mit sich zum Grund des Atlantiks nahm. All diese Gerüchte, Vermutungen, offensichtlichen Fehler, Berechnungen und immer wieder neuen Erkenntnisse. Dieses ungewöhnliche Desaster. Ein Schiff, das von Luxus nur so protzt, berühmte Personen, die auf jenem Schiff unterwegs waren – vier der reichsten Menschen der Welt, ein unschuldiger Eisberg, der nach 1-3 Jahren "Reisezeit" ausgerechnet direkt vor dem Bug eben dieses Schiffs auftaucht und aufgrund der glatten See, fehlender Ferngläser und Dunkelheit durch die Neumondnacht zu spät gesehen werden konnte.
James Cameron inszenierte diese Unglücksfahrt so dramatisch, atmosphärisch, emotional und mit Bombast, wie nie jemand zuvor. Ein Film, der zum Denken anregt, der einen gefangen nimmt in seinen mystischen Bann und nicht mehr loslässt. Wenn so etwas gelingt, kann man zweifelsohne von einem Meisterwerk der Filmkunst sprechen.
Ich gebe Titanic vom Meister James Cameron glatte 5 von 5 Schornsteine!
